Boveri, Margret, Publizistin, 1900–1975

Mar­gret Boveri, geboren am 14. August in Würzburg, entstammte ein­er Fam­i­lie des wil­helminis­chen Bürg­er­tums, ihr Vater, Theodor Boveri, hat­te einen Lehrstuhl für Biolo­gie an der Uni­ver­sität Würzburg inne, die Mut­ter Mar­cel­la war von Herkun­ft Amerikaner­in und hat­te als eine der ersten Frauen an ein­er Uni­ver­sität in Deutsch­land das Studi­um abschließen dür­fen.

Nach dem frühen Tod des Vaters und dem Zusam­men­bruch von 1918 sah sie sich zu einem Brot­studi­um gezwun­gen; 1921 schrieb sie sich in Würzburg für Ger­man­is­tik, Anglis­tik und Geschichte ein. Nach dem Zweit­en Staat­sex­a­m­en set­zte sie das Studi­um der Geschichte in München bei Her­mann Onck­en fort und wurde 1932 mit ein­er Unter­suchung über Edward Grey und das For­eign Office pro­moviert.

Hier zeich­nete sich schon das vitale Inter­esse Mar­gret Boveris an Geschichte und Außen­poli­tik ab, und da eine akademis­che Lauf­bahn wenig aus­sicht­sre­ich erschien, wandte sie sich dem Jour­nal­is­mus zu. 1934 trat sie als Redak­teurin in das Berlin­er Tage­blatt ein, das sich eine gewisse Unab­hängigkeit bewahrt hat­te, was Boveri, die man zur »Inneren Emi­gra­tion« zählen kann, ent­ge­genkam. Ab 1937 war sie Lek­torin beim Atlantis-Ver­lag, dessen gle­ich­namige Zeitschrift vor allem Reise­berichte brachte. Die Tätigkeit lag Mar­gret Boveri insofern, als das Reisen zu ihren großen Lei­den­schaften gehörte. Ihre ersten Büch­er bezo­gen sich auf ihre Reiseein­drücke, die sie mit all­ge­meinen poli­tis­chen und his­torischen Reflex­io­nen ver­band.

Im Mai 1939 ging sie für die Frank­furter Zeitung als Kor­re­spon­dentin nach Stock­holm, es fol­gte die Ver­set­zung nach New York im Okto­ber 1940, die sie trotz des Kriegs­be­ginns zu ein­er Wel­treise nutzte. Im Dezem­ber 1941, nach dem Krieg­sein­tritt der USA, wurde Mar­gret Boveri in New York ver­haftet und interniert, dann aus­gewiesen und im Mai 1942 nach Europa zurück­geschickt. Allerd­ings ging sie nicht nach Deutsch­land, son­dern blieb als Kor­re­spon­dentin der Frank­furter Zeitung für Eng­land und Ameri­ka in Liss­abon. Erst nach dem Ver­bot der FZ im August 1943 und einem kurzen Zwis­chen­spiel an der deutschen Botschaft in Madrid trat sie endgültig den Heimweg an. Sie tat das sehen­den Auges, weil sie den Unter­gang – nicht nur des Regimes, son­dern Berlins und Preußens – als Zeu­g­in miter­leben wollte. Seit dem März 1944 arbeit­ete Mar­gret Boveri als freie Mitar­bei­t­erin für ver­schiedene Blät­ter, u. a. für Das Reich.

Mar­gret Boveri glaubte nicht, daß eine selb­st­bes­timmte deutsche Poli­tik in näch­ster Zukun­ft möglich sein würde, aber sie dachte in lan­gen Fris­ten. Sie blieb ganz bewußt in Berlin und hat von den let­zten Kämpfen, dem Zusam­men­bruch und den Umstän­den der sow­jetis­chen Beset­zung in ihrem Buch Tage des Über­lebens (1968) beredtes Zeug­nis abgelegt. Mar­gret Boveri zögerte nach dem Ende des Krieges lange mit der Veröf­fentlichung von Tage des Über­lebens, weil sie sich Sor­gen um die poli­tis­che Wirkung machte. Ihrer Mei­n­ung nach mußte eine weit­ere Ver­schär­fung des Kalten Krieges ver­hin­dert wer­den. Sie ver­trat diese Auf­fas­sung nicht, weil sie ein zu pos­i­tives Bild der Sow­je­tu­nion hat­te oder eine Entspan­nung zwis­chen den Blöck­en um jeden Preis wün­schte, son­dern weil sie befürchtete, daß jede Eskala­tion der Feind­seligkeit­en zwis­chen Ost und West für das geteilte Deutsch­land nachteilige Fol­gen haben würde.

Ihrem rel­a­tiv­en Wohlwollen gegenüber der Sow­je­tu­nion entsprach eine außeror­dentlich kri­tis­che Hal­tung gegenüber den Vere­inigten Staat­en. Mar­gret Boveri hat die Gründe ihres »Anti­amerikanis­mus « auf dur­chaus amüsante Weise in ein­er Ameri­ka-Fibel (1946) zusam­menge­faßt. Sie zeich­nete einen bes­timmten Typus, nicht ohne Ein­füh­lung, aber mit deut­lich­er Reserve. Sie präsen­tierte ihn dem deutschen Pub­likum vor dessen erfol­gre­ich­er Ver­west­lichung und baute darauf, daß nur über­nom­men würde, was sich lohne. Sie warnte vor der Nei­gung des Amerikan­ers, den raschen Wech­sel zu feiern, analysierte die Ursache seines Selb­st- und Sendungs­be­wußt­seins, das den Opti­mis­mus ein­er­seits, den Glauben an die unbe­gren­zte Erzieh- und Umerziehbarkeit der Men­schen ander­er­seits speise.

Dieser Vor­be­halt gegenüber den USA erk­lärt auch, warum Mar­gret Boveri bis Mitte der fün­fziger Jahre immer wieder gegen Ade­nauer Stel­lung nahm. Ihre Posi­tion wäre sach­lich als »nation­al­neu­tral­is­tisch« zu beze­ich­nen, aber sie schloß sich kein­er Organ­i­sa­tion an. Mar­gret Boveri suchte damals den Kon­takt zur kon­ser­v­a­tiv­en Intel­li­genz, vor allem zu Ernst Jünger, Got­tfried Benn und Carl Schmitt, aber auch zu Armin Mohler, dessen Buch über die Kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tion sie mit großer Fasz­i­na­tion las. Daher erk­lärt sich auch die Ten­denz ihres vier­bändi­gen Hauptwerks Der Ver­rat im XX. Jahrhun­dert (1956–60). Sie skizziert darin die »Land­schaft des Ver­rats« im Welt­bürg­erkrieg, bed­ingt durch den Zer­fall der religiös begrün­de­ten Treuepflicht­en gegenüber Fürst und Staat ein­er­seits und den Auf­stieg neuar­tiger Ide­olo­gien ander­er­seits, die ihr Zen­trum zwar in einem Land und Volk haben mocht­en, aber jen­seits der Gren­zen »fün­fte Kolon­nen« war­ben, so daß im Kon­flikt alle Loy­al­itäten unsich­er waren. Im Mit­telpunkt ste­ht die Deu­tung des Wider­stands im nation­al­sozial­is­tis­chen Deutsch­land. Für Mar­gret Boveris Inter­pre­ta­tion ist dabei weniger der ethis­che Aspekt von Bedeu­tung als vielmehr die weltan­schauliche Prä­gung und sozi­ol­o­gis­che Struk­tur der Oppo­si­tion.

Nach dem Abschluß der Tetralo­gie über den Ver­rat erschien noch ein Bänd­chen, Indis­ches Kalei­doskop (1961), mit dem sie an ihre ersten Reise­büch­er anknüpfte, dann eine Arbeit über die Geschichte des Berlin­er Tage­blatts im Drit­ten Reich und Tage des Über­lebens. Das Ende ihrer jour­nal­is­tis­chen Tätigkeit markierte 1974 ein Sam­mel­band mit dem Titel Die Deutschen und der Sta­tus quo. Er enthielt eine Rei­he von Auf­sätzen, in denen Mar­gret Boveri zu deutsch­land­poli­tis­chen Fra­gen Stel­lung genom­men hat­te, und es ließ sich ihm eine Ten­denz ent­nehmen, die von vie­len Zeitgenossen als Schritt nach links wahrgenom­men wurde. Der hat­te sich­er zu tun mit der Hoff­nung, eine sozialdemokratisch geführte Bun­desregierung würde die Erstar­rung zwis­chen Bun­desre­pub­lik und DDR auf­brechen und deutsche Poli­tik treiben, es ging aber auch um die beson­dere Art und Weise, in der sie die auf­säs­sige Jugend der sechziger Jahre als eine Reprise der  Jugend­be­we­gung deutete. So viel Wun­schdenken und Fehlin­ter­pre­ta­tion im einen wie im anderen enthal­ten war, es hat­te doch zu tun mit der Nei­gung zum »Kreisen der Ele­men­tarteilchen« und der beson­deren Liebe Mar­gret Boveris zu Deutsch­land und den Deutschen.

Boveri starb am 6. Juli 1975 in Berlin.

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Zitat:

Am heuti­gen Zus­tand der Spal­tung sind wir Deutsche selb­st mit schuld, nicht allein schuld, aber mit schuld, die wir mit weni­gen Aus­nah­men nie gegenges­teuert haben … Die schw­erere Schuld aber liegt auf den West­deutschen und ein­er Gruppe von West­ber­lin­ern; denn entsprechend der Frei­heit, in der wir im West­en leben und die wir täglich neu genießend anrufen, war für uns ein Gegen-den-Strom-Schwim­men nicht mit Lebens­ge­fahr ver­bun­den, son­dern höch­stens mit einem gerin­geren Lebens­stan­dard und einem allerd­ings oft ehren­rühri­gen Ver­leumdet-Wer­den.

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Schriften:

  • Das Welt­geschehen am Mit­telmeer, Zürich/Leipzig/Berlin 1936
  • Vom Minarett zum Bohrturm, Zürich/Leipzig/Berlin 1938
  • Ameri­ka-Fibel für erwach­sene Deutsche. Ein Ver­such Unver­standenes zu erk­lären, Freiburg i. Br. 1946 (sowie Berlin 1946)
  • Her­mann Rauschning/Hans Fleig/Margret Boveri/J. A. v. Rantzau: … mit­ten ins Herz. Über eine Poli­tik ohne Angst, Berlin 1954
  • Der Ver­rat im XX. Jahrhun­dert, 4 Bde., Rein­bek bei Ham­burg 1956–1960
  • Tage des Über­lebens. Berlin 1945, München 1968
  • Die Deutschen und der Sta­tus quo, München 1974
  • Verzwei­gun­gen. Eine Auto­bi­ogra­phie, hrsg. und mit einem Vor­wort von Uwe John­son, München 1977

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Lit­er­atur:

  • »Ich möchte schreiben und schreiben«. Mar­gret Boveri – Eine deutsche Jour­nal­istin. Ausstel­lungskat­a­log der Staats­bib­lio­thek Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz, Berlin 2000
  • Heike Görtemak­er: Mar­gret Boveri. Ein deutsches Leben, München 2005