Marienburg — Westpreußen

Der Begriff der Ord­nung find­et wohl in kein­er deutschen Land­schaft stärk­er Aus­druck als im Gebi­et des Ordensstaates Preußen, den späteren Prov­inzen Ost- und West­preußen, zwis­chen unter­er Weich­sel und Memel. Die vom Deutschen Orden seit der Mitte des 13. Jahrhun­derts geschaf­fene geistig-kul­turelle Ord­nung prägt auf­grund ihrer gotis­chen Back­stein­baut­en, Stadt- und Dor­f­grün­dun­gen noch heute das zwis­chen Polen, Ruß­land und Litauen geteilte Land, und kein Gebäude verkör­pert mehr diese prä­gende Kraft als die Marien­burg.

Das Land der Prußen und Litauer war das let­zte hei­d­nis­che in Europa. Als der Her­zog von Masowien den Kampf gegen die nördlichen Nach­barn nicht mehr alleine fort­set­zen kon­nte und sich daher im Win­ter 1225/26 an den Deutschen Orden wandte, da wurde dieser 1190 im Heili­gen Land gegrün­dete Rit­teror­den von dem für seine diplo­ma­tis­chen Fähigkeit­en gerühmten Hochmeis­ter von Salza geführt. Dieser wollte seine Orden­skämpfer nicht ein­fach als Söld­ner dem Her­zog zur Eroberung des Prußen­lan­des zur Ver­fü­gung stellen, son­dern behielt sein eigenes Ziel, die Grün­dung eines Staates, im Auge. Ver­hand­lun­gen fan­den ihren Abschluß im Kruschwitzer Ver­trag von 1230, in dem der Orden seine Vorstel­lun­gen ein­er Herrschafts­bil­dung weit­ge­hend durch­set­zen kon­nte.

Zur Absicherung durch die bei­den höch­sten Autoritäten des Abend­lan­des, Kaiser und Papst, hat­te Salza im März 1226 Gespräche mit Kaiser Friedrich II. geführt. Doch eine erste Bestä­ti­gung für das Vorhaben erfol­gte durch die 1234 aus­ge­fer­tigte Bulle des Pap­stes, ehe im Som­mer 1235 die Gold­bulle des Kaisers rück­datiert auf 1226 aus­gestellt wurde. Durch sie bekam der Deutsche Orden nicht allein die volle Lan­deshoheit über das zu erobernde Hei­den­land über­tra­gen, son­dern sollte in diesem außer­halb des Heili­gen Römis­chen Reich­es liegen­den Gebi­et auch alle einem Reichs­fürsten zuste­hen­den Rechte ausüben kön­nen.

Bald nach dem Kruschwitzer Ver­trag hat­ten Orden­srit­ter unter dem Zeichen des vom Kaiser ver­liehenen schwarzen Adlers, dem späteren Wap­pen­tier Bran­den­burg-Preußens, mit der Unter­w­er­fung des Lan­des begonnen und an der Weich­sel die Bur­gen Thorn (1231), Kulm (1231) und Marien­werder (1233) gegrün­det. Bis 1283 kon­nte der Orden alle Gaue der Prußen erobern
und formte hier an der Ost­see, auf­bauend auf dem Vor­bild des ara­bisch-nor­man­nisch- stau­fis­chen Beamten­staates Unter­i­tal­iens, das mod­ern­ste Staatswe­sen des Mit­te­lal­ters (Ulrich Matthée), dessen Zen­trum 1309 die Marien­burg wurde.

In jen­em Jahr ver­legte Hochmeis­ter von Feucht­wan­gen seinen Sitz von Venedig an die Nogat. Zunächst erfol­gte die Vol­len­dung des vier­flügeli­gen Hochschloss­es, dann wur­den auf­grund der ständig wach­senden Zahl an Rit­ter- und Priester­brüdern und der zunehmenden Ver­wal­tungsauf­gaben weit­ere Baut­en notwendig, so das Mit­telschloß (1310–1340) und die Kirche (1331–1344), in deren Erdgeschoß die Grablege der Hochmeis­ter ein­gerichtet wurde. Die rotleuch­t­ende Back­stein­burg zierten ele­gante Spitzbo­gen­por­tale, auf schlanken Säulen ruhende Sterngewölbe, reichdeko­ri­erte Kon­sol­steine, Wand­malereien und nicht zulet­zt als Höhep­unkt die acht Meter hohe, nach Osten schauende und mit venezian­is­chen Mosaiken beset­zte Marien­fig­ur. Zwis­chen 1385 und 1398 wurde an der Fluß­seite der neue Hochmeis­ter­palast ange­baut – ein Meis­ter­w­erk der Gotik.

Doch von dieser Burg ging mehr aus als Ele­ganz. Sie wurde Mit­telpunkt weit­er­er Bur­gen, die in ähn­lich­er Form­schön­heit errichtet wur­den, bis hoch ins Baltikum (z. B. Riga, žžReval, Nar­wa), wo der livländis­che Zweig des Ordens seine Macht ent­fal­tete. Sie wurde Mit­telpunkt eines Staates, der ein Netz zahlre­ich­er Städte und Dör­fer auf­baute, dem Land Struk­turen, geistige, rechtliche sowie kün­st­lerische, gab, die auch da, wo sie wie im nördlichen Ost­preußen nach 1945 weit­ge­hend aus­gelöscht wur­den, neben der Weite der Land­schaft der Region ihren einzi­gar­ti­gen Aus­druck und Stil ver­lei­hen.

1410 hielt die Marien­burg nach der Schlacht bei Tan­nen­berg der pol­nisch-litauis­chen Belagerung stand. Doch im Dreizehn­jähri­gen Krieg (ab 1454) wurde sie von den zur Vertei­di­gung einge­set­zten böh­mis­chen Söld­nern dem pol­nis­chen König verkauft. Der Hochmeis­ter floh 1457 nach Königs­berg. Im Friede zu Thorn 1466 fiel das west­liche Preußen­land als »Preußen königlichen Anteils« mit der Marien­burg an die pol­nis­che Kro­ne.

Mochte der Orden den kul­tiviert­eren und wohlhaben­deren Teil seines Staats­ge­bi­etes – mit Danzig – ver­loren haben, so war sein Wille zur Selb­st­be­haup­tung nicht gebrochen. Noch bis zur Umwand­lung in ein weltlich­es Her­zog­tum 1525 prägte er durch seine Staats­führung, Koloni­sa­tion und Architek­tur einen weit­en Raum. Hier­bei war für die Zukun­ft von Bedeu­tung, daß der Orden mit jenen aus dem Reich stam­menden, ihn im Krieg vertei­di­gen­den und danach mit Land entschädigten Söld­ner­führern einen neuen »preußis­chen« Adel gewann, der sein Werk in den fol­gen­den Jahrhun­derten noch über das Ende des Ordensstaates hin­aus eben­so fort­set­zte wie jene Herrsch­er, die auf den Hochmeis­ter-Her­zog Albrecht fol­gten: die bran­den­bur­gis­chen Kur­fürsten und schließlich die preußis­chen Könige; erin­nert sei an Friedrich Wil­helm I. (Oder­bruch), der Anfang des 18. Jahrhun­derts mit neuen Stad­tan­la­gen, Dör­fern und Siedlern den orden­szeitlichen Willen zur Gestalt nochmals erweit­erte.

Mit der Pol­nis­chen Teilung 1772 wurde das »Königliche Preußen« als West­preußen Bestandteil des Staates Friedrichs des Großen . Für den kün­st­lerischen Wert blind, wur­den Teile der Marien­burg rein­er Nüt­zlichkeit geopfert. Erst 1803 ver­faßte der 19jährige Frei­heits­dichter Max von Schenk­endorf seinen Aufruf zur Ret­tung der Burg, und zugle­ich macht­en die pub­lizierten Zeich­nun­gen des jung ver­stor­be­nen, genialen Friedrich Gilly die Burg europaweit bekan­nt. 1804 stoppte König Friedrich Wil­helm III. (Tau­roggen) den Abbruch. Nun wurde ihre architek­tonis­che
Wieder­ent­deck­ung und die sich über Jahrzehnte hinziehende Rekon­struk­tion zu einem nationalen Ereig­nis von hohem Rang, ähn­lich dem Weit­er­bau des Köl­ner Domes. Es genügt, einige der
großen Namen zu nen­nen, die sich um die Marien­burg ver­di­ent gemacht haben: Eichen­dorff, Schinkel, Men­zel oder Con­rad Stein­brecht, »der zu den her­vor­ra­gend­sten Kon­ser­va­toren des dama­li­gen Europas gehörte« (Ryszard Rzad). Die Marien­burg galt sei­ther als ein deutsches Nation­al­heilig­tum, in ihr ver­ban­den sich die Orden­szeit mit den Erin­nerun­gen an die siegre­ichen Befreiungskriege (Schill-Gedenkstät­ten).

Die Restau­rierung der gewalti­gen Bur­gan­lage zog sich bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Schwere Zer­störun­gen Anfang 1945 ver­nichteten beina­he diese Auf­bauleis­tung, bis ab 1960 nun von pol­nis­chen Restau­ra­toren der Wieder­auf­bau erneut in Angriff genom­men wurde. Sei­ther ist die Burg des ein­sti­gen Fein­des wohl der bedeu­tend­ste Touris­ten­mag­net des Lan­des.

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Lit­er­atur:

  • Klaus Con­rad: Der Deutsche Orden und sein Lan­desaus­bau in Preußen, in: Udo Arnold (Hrsg): Deutsch­er Orden 1190–1990, Lüneb­urg 1997, S. 83–106
  • Christofer Her­rmann: Mit­te­lal­ter­liche Architek­tur im Preußen­land, Peters­berg 2007
  • Bern­hart Jäh­nig: Herrschaftsver­ständ­nis und Herrschaftsver­wirk­lichung beim Deutschen Orden in Preußen, in: Klaus Mil­itzer (Hrsg.): Herrschaft, Net­zw­erke, Brüder des Deutschen Ordens in Mit­te­lal­ter und Neuzeit, Weimar 2012, S. 67–92
  • Ulrich Matthée: Der Flug des Schwarzen Adlers von Apulien nach Preußen, in: Wulf D. Wag­n­er: Sta­tio­nen ein­er Krö­nungsreise. Schlöss­er und Gut­shäuser in Ost­preußen, Berlin 2001, S. 10–16
  • Klaus Mil­itzer: Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart 2012
  • Ryszard Rzad: Die Marien­burg 1882–1945. Der All­t­ag des Wieder­auf­baus, Malbork/Marienburg 1996