Orthodoxie — Gilbert Keith Chesterton, 1908

Im 20. Jahrhun­dert gab es nur wenige, die den christlichen Glauben mit ein­er solchen geistre­ichen Verve vertei­digten wie G. K. Chester­ton, der neben C. S. Lewis der wohl erfol­gre­ich­ste apolo­getis­che englis­che Autor des 20. Jahrhun­derts ist. Chester­tons freimütige Vertei­di­gung nicht bloß der Vernün­ftigkeit der Reli­gion, son­dern der Ortho­dox­ie als des richti­gen Glaubens war gegen die Ten­den­zen des geisti­gen Rel­a­tivis­mus gerichtet, die sich bere­its im aus­ge­hen­den 19. Jahrhun­dert zeigten.

Chester­ton liefert in dem nach eigen­er Aus­sage »chao­tis­chen Buch« keinen Trak­tat zur Vertei­di­gung des christlichen Glaubens an sich, son­dern eine Apolo­gia seines per­sön­lichen Weges zum (katholis­chen) Chris­ten­tum. Darin lehnt er sich aus­drück­lich dem Mod­ell an, das im Kon­text der englis­chen Reli­gion­s­geschichte durch John Hen­ry Kar­di­nal New­man in sein­er Apolo­gia pro vita sua vorgegeben wurde.

Chester­ton ver­ste­ht Ortho­dox­ie als pos­i­tive Ergänzung zu seinem Buch Ket­zer (1905), das eine neg­a­tive Kri­tik der zeit­genös­sis­chen Philoso­phien und Weltan­schau­un­gen bietet. So ist er beispiel­sweise ein schar­fer Geg­n­er des Mate­ri­al­is­mus und Evo­lu­tion­is­mus. Chester­ton ist ein sprachge­waltiger Autor, der seine Leser durch ungewöhn­liche und gewagte Bilder und Argu­men­ta­tio­nen zu beein­druck­en sucht und einen beträchtlichen logis­chen Scharf­sinn zur Anwen­dung bringt, aber auch vor (schein­baren) Para­doxa nicht zurückschreckt.

Die Reli­gion ist nach Chester­ton weit davon ent­fer­nt, ein Feind der Ver­nun­ft zu sein; in Wirk­lichkeit ist sie ger­ade die Garantie der Ver­nun­ft. Chester­tons prononcierte Urteile stoßen direkt zum Kern der Sache vor, ohne um sie herumzure­den. Er stellt beispiel­sweise fest, daß Niet­zsche gewiß erkan­nt hätte, daß sein Denken Unsinn sei, wenn er es ohne Meta­phern betra­cht­en kön­nte. Wahnsinn wird von Chester­ton definiert als der Gebrauch der Ver­nun­ft ohne einen Anker, also ein­er Ver­nun­ft im leeren Raum.

Chester­ton spricht von der »Romanze der Ortho­dox­ie«, denn die Ortho­dox­ie ist keineswegs lang­weilig und vorher­sag­bar, son­dern vielmehr so gefährlich oder aufre­gend wie nur irgend etwas. Dies aber ist wahrhaft vernün­ftig, und es ist wesentlich aufre­gen­der, vernün­ftig statt wahnsin­nig zu sein. Die Schwankun­gen der Kirche in der Geschichte erk­lärt Chester­ton aus der Notwendigkeit, schwere Entschei­dun­gen zu tre­f­fen und alle möglichen Häre­sien abzuweisen, die zu akzep­tieren für die Kirche deut­lich beque­mer gewe­sen wäre: »Es ist leicht, ein Ver­rück­ter zu sein: es ist leicht, ein Ket­zer zu sein.« Die Ver­mei­dung der Ket­zereien beze­ich­net er als ein schwindel­er­re­gen­des Aben­teuer.

Chester­ton ist von den zutief­st illib­eralen Fol­gen ein­er the­ol­o­gis­chen Lib­er­al­isierung überzeugt, weshalb er sich entsch­ieden gegen die mod­erne Ten­denz zu Pan­the­is­mus und Imma­nen­tismus wen­det. Der per­sön­liche Gott des Chris­ten­tums dage­gen stellt die Voraus­set­zung von Human­ität, Liebe und Frei­heit dar. Gedanken­fülle, bril­lante Polemik und ein unver­wech­sel­bar­er glänzen­der Stil tru­gen zum großen Erfolg des apolo­getis­chen Essays über Ortho­dox­ie bei, der bis heute immer wieder aufgelegt wurde. Er bietet eine Anleitung zur Freude am Dasein, die durch die Exis­tenz der Werke Chester­tons noch ver­stärkt wird.

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Zitat:

Es ist immer leicht, der Zeit ihren Willen zu lassen; die Schwierigkeit beste­ht darin, seinen eige­nen Kopf zu bewahren.

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Aus­gabe:

  • Neue Über­set­zung von Moni­ka Noll und Ulrich Ender­witz mit dem Unter­ti­tel Eine Han­dre­ichung für die Ungläu­bi­gen, Ein­leitung von Mar­tin Mose­bach, Frank­furt a. M.: Eich­born 2001

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Lit­er­atur

  • Ian Crowther: G. K. Chester­ton, Lon­don 1991
  • Joseph Pearce: Wis­dom and Inno­cence. A Life of G. K. Chester­ton, San Fran­cis­co 1997