Rasse

Rasse ist ein Begriff, der ursprünglich aus dem Ara­bis­chen stammt und soviel wie »Lin­ie«, das heißt im über­tra­ge­nen Sinn auch »Blut­lin­ie« bedeutet. Die Wahrnehmung, daß inner­halb ein­er Art Grup­pen beste­hen, die sich durch bes­timmte charak­ter­is­tis­che, vor allem mor­phol­o­gis­che, Merk­male unter­schei­den, samt der Fest­stel­lung, daß diese Merk­male erbfest sind, hat es wahrschein­lich seit der Frühzeit des Men­schen gegeben. Entsprechende Beobach­tun­gen kon­nte man bei Tieren, in gewis­sem Sinn auch bei Pflanzen machen, und mit der Fest­stel­lung der Dif­ferenz ging gewöhn­lich eine Bew­er­tung ein­her. Das Entsprechende galt, wenn man das Prinzip der Rassen­son­derung auf den Men­schen übertrug.

Daß damit eine Ver­schär­fung der sowieso ver­bre­it­eten – und im weit­eren Sinn »natür­lichen« – Frem­den­furcht ein­herg­ing, ist sowenig bestre­it­bar wie die Tat­sache, daß die Feind­seligkeit zwis­chen Rassen nicht fix­iert, son­dern kul­turell vari­abel ist. Ein Beispiel ist die sex­uelle Anziehungskraft zwis­chen Men­schen ver­schieden­er Rassen, ein anderes die dif­ferierende Wer­tung der anderen Rasse im Lauf der Geschichte. So trat der »Mohr« im Mit­te­lal­ter zwar als Ander­er auf, aber das hat wed­er die sagen­hafte Heldengestalt des Feire­fiz ver­hin­dert, noch den Auf­stieg des schwarzhäuti­gen Heili­gen Mau­ri­tius zum Schutz­pa­tron des Deutschen Reich­es.

Bei solch­er Großzügigkeit spielte selb­stver­ständlich auch die »mono­genetis­che« These eine Rolle, derzu­folge alle Men­schen von einem Schöpfer in einem Akt geschaf­fen wor­den waren. Diese Anschau­ung geri­et erst im 18. Jahrhun­dert mit der Entwick­lung der mod­er­nen Natur­wis­senschaft zunehmend unter Druck. Schon vor der Durch­set­zung von Dar­wins Evo­lu­tion­s­the­o­rie ver­bre­it­ete sich jeden­falls die Annahme, daß die Men­schen­rassen nicht eines Ursprungs seien, son­dern ver­schiedene Stufen der Gesam­ten­twick­lung repräsen­tierten. Die Kon­se­quen­zen, auch und ger­ade die ide­ol­o­gis­chen, waren erhe­blich.

Jeden­falls datiert die Angst um die »Rein­heit der Rasse« erst in die nachaufk­lärerische Phase der europäis­chen Geschichte. Ähn­liche Konzepte aus früher­er Zeit, wie etwa die Heiratsver­bote in tra­di­tionalen Gesellschaften oder im Fall der Unter­w­er­fung, erk­lären sich durch andere Motive. Die Idee, daß die Geschichte von Rassen­zuge­hörigkeit und Rassenkampf deter­miniert werde, ist ein mod­ernes Phänomen, das die Ras­sen­ge­set­zge­bung in den weißen Sied­lungskolonien und den USA und erst in let­zter Kon­se­quenz im nation­al­sozial­is­tis­chen Deutsch­land bes­timmte.

Dessen mil­itärische Nieder­lage 1945 hat auch die Argu­men­ta­tion unter Bezug auf den Begriff Rasse nach­haltig diskred­i­tiert, allerd­ings mit dem eifrigen Bemühen, den »Ras­sis­mus« – also eigentlich die moralis­che Abw­er­tung von einzel­nen oder Grup­pen auf­grund ihrer Rassen­zuge­hörigkeit – zu beseit­i­gen, die absurde Lage geschaf­fen, daß der Fak­tor Rasse und seine tat­säch­lichen Auswirkun­gen gar nicht oder nur noch verdeckt disku­tiert wer­den. Selb­st in wis­senschaftlichen Diszi­plinen wie der Eth­nolo­gie, der Anthro­polo­gie oder der Biolo­gie, die im Grunde gar nicht umhinkön­nen, von »Rassen« zu sprechen, scheut man davor zurück und ver­wen­det Ersatzter­mi­ni, die allerd­ings nicht erhel­lend, son­dern ver­dunkel­nd wirken.

Immer­hin hat eine Min­der­heit von Uner­schrock­e­nen sich durch diese Art von Mei­n­ungs­dik­tat nicht irri­tieren lassen und hin­re­ichende Gründe für die Annahme benan­nt, daß die Rassen nicht nur in bezug auf das Äußere von Men­schen Bedeu­tung hat, son­dern auch in bezug auf solche Fak­toren wie durch­schnit­tliche Intel­li­genz, Indi­vid­u­al­is­mus oder Kollek­tivis­mus, kör­per­liche Fähigkeit­en. Man muß dem angesichts der fak­tis­chen Rassen­mis­chung in allen Kul­turvölk­ern keine über­mäßige Bedeu­tung zuschreiben, aber von diesem Tatbe­stand völ­lig abzuse­hen, gle­icht einem »kul­tur­al­is­tis­chen Fehlschluß«, das heißt der Fol­gerung vom gewün­scht­en Ergeb­nis – der Gle­ich­heit aller Men­schen – auf die erlaubten Tat­sachen.

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Zitat:

Aber die bloße Prokla­ma­tion der natür­lichen Gle­ich­heit aller Men­schen und der Brüder­lichkeit, die sie ohne Anse­hen der Rasse oder der Kul­tur vere­ini­gen sollte, ist intellek­tuell ent­täuschend, weil sie die fak­tis­che Ver­schieden­heit überge­ht, die sich der Beobach­tung aufzwingt und von der man nicht ein­fach behaupten kann, daß sie das Prob­lem im Kern nicht berühre, so daß man sie the­o­retisch und prak­tisch als nicht vorhan­den anse­hen könne.
Claude Lévi-Strauss

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Lit­er­atur: