Der englische Philosoph Roger Scruton, geboren am 27. februar 1944 in Buslingthorpe bei Manchester, gehört zu den vielseitigsten und produktivsten zeitgenössischen konservativen Denkern. Neben intensiven philosophiegeschichtlichen Studien hat sich Scruton u.a. mit Fragen politischer Philosophie, Rechtsphilosophie, Ästhetik, Architektur, Landwirtschaft, Ökologie, Jagd, Tierrechten, Sexualität, Musik, Wein und Religion auseinandergesetzt. Seine durchwegs lesenswerten Bücher bieten eine Fülle von Anregungen zur Diagnose und Therapie der Gegenwartskultur; in der Summe können sie als herausragendes Kompendium konservativen Denkens und Fühlens gelten.
Scruton schätzt die intellektuellen Denkweisen der analytischen Philosophie, ohne jedoch ihre Grenzen zu ignorieren; so vertritt er die Auffassung, daß die analytische Philosophie in Sachen Ästhetik sich von der Kultur entfernt habe und auch einer philosophischen Anthropologie ermangele, ohne die es aber nicht gehe. Damit schließt Scruton an kontinentale Traditionen des Philosophierens, aber auch der Literatur und Kunst an; er betont durchgängig den Primat des Lebens vor den Netzen der Theorie, weshalb er Husserls Begriff der Lebenswelt als konservativen Begriff stark zu machen sucht. Im Anschluß an Denker wie Burke, Hegel, Hayek und Oakeshott entwickelt und verteidigt Scruton die Konzeption einer territorial gegründeten Rechtsordnung, die auf die Loyalität ihrer Bürger rechnen kann, weil sie selbst begründete Loyalitätsgefühle erzeugt.
Die konzisen und scharfsinnigen Analysen, mit denen Scruton etwa in A Political Philosophy (2006) oder The Meaning of Conservatism (1980) sowie in seinen autobiographischen, stets instruktiven Schriften aufwartet, erweisen den Wert philosophisch gründlicher Theoriebildung für den Konservatismus. Es handelt sich dabei freilich um eine Theorie, die um ihre lebensweltlich gesetzten Grenzen weiß. Der Konservatismus hat nach Scruton System und ist vernünftig, auch wenn er seine Maximen nur selten explizit vorträgt.
Scruton hält die Kultur für einen Wert an sich, der in der Vermittlung von sogenanntem emotionalem Wissen besteht. Darunter ist das Wissen davon zu verstehen, das Richtige zu fühlen, also in einer bestimmten Situation mit angemessenen Gefühlen reagieren zu können. Gefühle sind nach Scruton rationale Reaktionen auf objektive Gegebenheiten, die gebildet und korrigiert werden können.
Scrutons Kulturkonservatismus hängt eng mit der Einsicht zusammen, daß diese Formen emotionalen Wissens leichter verloren gehen können als daß sie erworben werden. Die Wertschätzung der kulturellen Dimension des Menschseins begründet die Skepsis Scrutons gegenüber libertärem Denken; sie zeigt sich zum anderen in seiner intensiven Beschäftigung mit Literatur- und Kulturkritikern wie F. R. Leavis und T. S. Eliot, die für Scruton gleichsam kanonischen Rang beanspruchen können.
Scruton ist ein emphatischer Verteidiger des souveränen Nationalstaates, der ihm als eine der entscheidenden Errungenschaften des Abendlandes gilt, durch den dieses sich vom Rest der Welt unterscheide. Die Idee der Bürgerlichkeit hängt nach Scruton von der Nation ab; Versuche einer Ersetzung nationaler Bezüge der Staatsbürgerschaft lehnt er ab, weil die Verbindung einer Rechtsordnung mit einem klar umrissenen Territorium eine wesentliche Bedingung des Funktionierens dieser Ordnung darstellt.
Scruton ist folglich gegenüber der Globalisierung kritisch, sofern sie jene Tendenzen der abendländischen Gesellschaften verstärkt, die zu einer Aufweichung und Auflösung der spezifischen Errungenschaften Europas und Amerikas führen. Der Ideologie des Multikulturalismus widmet Scruton dabei besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt im Zusammenhang mit seiner tief eindringenden Reflexion auf Enoch Powells berühmt-berüchtigte Birminghamer Rede über die drohenden Konsequenzen einer ungesteuerten Einwanderungspolitik.
Scrutons Bedeutung für die Artikulierung einer genuin konservativen Philosophie kann nicht genug betont werden; auch die Gründung der bis heute erscheinenden Salisbury Review als Zeitschrift eines parteiungebundenen Konservatismus setzte Zeichen. Zu Scrutons wichtigsten Büchern gehört das 2010 erschienene The Uses of Pessimism and the Dangers of False Hope, das als unverzichtbare Schulung im Erkennen politischer und ideologischer Trugschlüsse gelten darf. Scruton zeigt hier mustergültig an sieben Trugschlüssen wie etwa dem Nullsummen‑, Planungs‑, Utopie- oder Best-Case-Trugschluß, welche negativen Konsequenzen aus ihnen gesellschaftspolitisch erwachsen; so etwa, wenn der Nullsummentrugschluß, der tief in der sozialistischen Weltanschauung verankert ist, suggeriert, Gleichheit sei dasselbe wie Gerechtigkeit. Scrutons politische Philosophie ist Konservatismus auf dem denkbar höchsten Niveau.
Scruton starb am 12. Januar 2020 in Brinkworth.
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Zitat:
In den reifen Opern Wagners gab unsere Kultur das letzte Mal der Idee des Heroischen eine Stimme, und zwar mittels Musik, die danach strebt, diese Idee mit ihrer ganzen Macht zu bejahen.
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Schriften:
- The Aesthetics of Architecture, Princeton 1979
- Thinkers of the New Left. London 1985
- Sexual Desire. A Philosophical Investigation, London 1986
- Modern Philosophy. An Introduction and Survey, London 1994
- Animal Rights and Wrongs, London 1996
- An Intelligent Person’s Guide to Modern Culture,[auch unter dem Titel: Modern Culture], London 1996
- The Aesthetics of Music, Oxford 1997
- The Meaning of Conservatism, Basingstoke 2001
- An Elegy. London 2001
- The West and the Rest. Globalization and the Terrorist Threat, London 2002
- Konservatismus oder die Aktualität Edmund Burkes, in: Sezession (2003), Heft 3
- England: News from Somewhere. On Settling, London 2004
- Gentle Regrets: Thoughts from a Life, London 2006
- A Political Philosophy. Arguments for Conservatism, London 2006
- On Beauty, Oxford 2009
- The Uses of Pessimism and the Dangers of False Hope, London 2010
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Literatur:
- Harald Bergbauer: ‘The West and the Rest’. Neuauflage oder Metamorphose des Freund-Feind-Denkens im Werk von Samuel P. Huntington und Roger Scruton, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.): Freund-Feind-Denken. Carl Schmitts Kategorie des Politischen, Stuttgart 2011
- Mark Dooley: Roger Scruton. The Philosopher on Dover Beach, London 2009
- Till Kinzel: Serious Playfulness. Roger Scruton’s Philosophical Dialogism in the Xanthippic Dialogues, in: Till Kinzel/Jarmila Mildorf (Hrsg.): Imaginary Dialogues in English, Heidelberg 2011
- Ulrich K. Zellenberg: Die Rettung des Menschlichen [Roger Scruton], in: Stichwortgeber für die Politik II, hrsg. von Peter Danich / Christian Sebastian Moser, Wien 2007