Bahro, Rudolf, Philosoph, 1935–1997

Bahro war der bekan­nteste kom­mu­nis­tis­che Dis­si­dent der DDR und trat seit den achtziger Jahren als Vor­denker ein­er ökol­o­gis­chen Wende her­vor.

Die Flucht führte den am 18. Novem­ber 1935 in Bad Flins­berg gebore­nen Sohn eines land­wirtschaftlichen Inspek­tors über Umwege aus der schle­sis­chen Heimat in das bran­den­bur­gis­che Fürsten­berg (heute Eisen­hüt­ten­stadt). Bahro wurde noch während der Schulzeit Kan­di­dat der SED, 1954 Mit­glied. Er studierte nach dem Abitur in Berlin Philoso­phie und schloß das Studi­um mit ein­er Diplo­mar­beit zum The­ma »Johannes R. Bech­er und das Ver­hält­nis der deutschen Arbeit­erk­lasse und ihrer Partei zur nationalen Frage« ab. Anschließend unter­stützte er die Kollek­tivierung der Land­wirtschaft und bek­lei­dete ver­schiedene Funk­tionär­sposten. Nach­dem er bere­its 1967 gemaßregelt wor­den war und sich »in der Pro­duk­tion« bewähren mußte, zwan­gen ihn die Ereignisse in der dama­li­gen Tsche­choslowakei (1968) zum Umdenken.

Das Resul­tat war sein 1977 erschienenes Buch Die Alter­na­tive, das er neben der Arbeit und der (auf Betreiben der Staatssicher­heit) abgelehn­ten Dis­ser­ta­tion geschrieben hat­te. Mit sein­er Analyse des real existieren­den Sozial­is­mus wollte er der DDR-Führung helfen, auf den recht­en Weg zu find­en, weil es Bahros Mei­n­ung nach zum Kom­mu­nis­mus keine Alter­na­tive geben kon­nte. Es ging ihm um die Zukun­fts­fähigkeit des Kom­mu­nis­mus, die er als gegeben sah. Trotz der völ­lig verän­derten Welt­lage bleibt das Buch in vie­len Pas­sagen aktuell, weil es im Kern um die Frage nach dem Ver­hält­nis der Frei­heit des einzel­nen zur Notwendigkeit der Gesellschaft geht. Diese sah Bahro im Sozial­is­mus als zu schwach aus­ge­bildet an, so daß keine Inno­va­tion mehr erfol­gen kon­nte und die Men­schen sich vom DDR-Sys­tem inner­lich dis­tanzierten.

Bahros Buch erschien ille­gal in der Bun­desre­pub­lik. Bahro wurde daraufhin ver­haftet und wegen Geheimnisver­rats zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Im West­en wurde das Buch ein Best­seller, und Bahros Verurteilung löste eine weltweite Protest­welle aus. Im Zuge ein­er Amnestie kam Bahro 1979 frei und durfte in die Bun­desre­pub­lik aus­reisen. Hier fand Bahro Anschluß bei den sich ger­ade formieren­den Grü­nen. Er warb dort, immer noch als Kom­mu­nist, für einen Schul­ter­schluß mit völkischen und kon­ser­v­a­tiv­en Grü­nen wie Bal­dur Spring­mann oder Her­bert Gruhl, die von Beginn an auf ver­loren­em Posten standen. Auch Bahro, der zeitweise im Bun­desvor­stand der Grü­nen war, ver­ließ die Partei bald wieder. Im Gegen­satz zu den Grü­nen, die für grüne Refor­men (die man in ein­er Koali­tion mit der SPD erre­ichen wollte) ein­trat­en, wollte Bahro die ökol­o­gis­che Wende, die vor allem eine Abkehr vom Emanzi­pa­tions­denken bedeuten sollte.

Bahro, der die Grü­nen auf dem Weg zur Sys­tem­partei sah, dachte die ökol­o­gis­che Idee als Einzel­gänger weit­er und wid­mete sich den »Grund­la­gen ökol­o­gis­ch­er Poli­tik «. In dem Buch Logik der Ret­tung (1987) wandte er sich gegen die Abw­er­tung der deutschen Ver­gan­gen­heit und sah durch die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, die nicht bere­it war, his­torische Ereignisse dif­feren­ziert zu betra­cht­en, Deutsch­lands Zukun­fts­fähigkeit gefährdet. Ökol­o­gis­che Poli­tik sei, so Bahro, Ord­nungspoli­tik, die auf Ein­sicht und damit Bewußt­sein­sän­derung basiere. Sein Ruf nach einem »Fürsten der ökol­o­gis­chen Wende« machte deut­lich, daß diese Wende nicht mit demokratis­chen Mit­teln her­beizuführen war.

Aus diesen und ähn­lichen Aus­sagen fol­gte die Verunglimp­fung Bahros als Öko­faschist. Der Vor­wurf wurde vere­inzelt von kon­ser­v­a­tiv­er, mehrheitlich aber von link­er Seite erhoben, obwohl oder ger­ade weil sich Bahro selb­st immer noch als Linken sah. Von diesen Debat­ten wur­den seine let­zten Leben­s­jahre über­schat­tet.

Bahro war nach der poli­tis­chen Wende in der DDR sofort nach Berlin gereist und glaubte zunächst an eine Zweis­taaten­lö­sung mit ein­er reformierten DDR, sah aber gle­ichzeit­ig, daß die »antifaschis­tis­chen Analy­sen« über­holt waren und Antworten auf die neue Sit­u­a­tion eher bei »Hei­deg­ger, C. G. Jung, Ernst Jünger und Carl Schmitt« zu find­en seien. Noch vor der Wiedervere­ini­gung erhielt Bahro die Möglichkeit, an der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin ein Insti­tut für Sozialökolo­gie einzuricht­en, an dem er bis zu seinem Tod lehrte. Seine Vor­lesun­gen waren als Studi­um gen­erale allen Inter­essierten zugänglich. Bis heute beste­ht das »Lebens-Gut Pomm­ritz«, eine säch­sis­che Kom­mune, deren Grün­dung Bahro mit Unter­stützung des dama­li­gen Min­is­ter­präsi­den­ten Kurt Biedenkopf anregte.

Bahro starb am 5. Dezem­ber 1997 in Berlin.

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Zitat:

Ich halte die Frage nach dem Pos­i­tiv­en, das vielle­icht in der Nazi-Bewe­gung ver­larvt war und dann immer gründlich­er per­vertiert wurde, für eine aufk­lärerische Notwendigkeit, weil wir son­st von den Wurzeln abgeschnit­ten
bleiben, aus denen jet­zt Ret­ten­des erwach­sen kön­nte.

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Schriften:

  • Die Alter­na­tive. Zur Kri­tik des real existieren­den Sozial­is­mus, Köln/Frankfurt a. M. 1977
  • … die nicht mit den Wölfen heulen. Das Beispiel Beethoven und sieben Gedichte, Köln/Frankfurt a. M. 1979
  • Logik der Ret­tung. Wer kann die Apoka­lypse aufhal­ten? Ein Ver­such über die Grund­la­gen ökol­o­gis­ch­er Poli­tik, Stuttgart/Wien 1987
  • Rück­kehr. Die In-Weltkrise als Ursprung der Weltzer­störung, Frank­furt a. M./Berlin 1991
  • Bleibt mir der Erde treu! Apoka­lypse oder Geist ein­er neuen Zeit? Essays – Vor­lesun­gen – Skizzen, Berlin 1995

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Lit­er­atur:

  • Gun­tolf Herzberg/Kurt Seifert: Rudolf Bahro. Glaube an das Verän­der­bare, Berlin 2002 (erw. Taschen­buchaus­gabe, Berlin 2005)
  • Gun­tolf Herzberg (Hrsg.): Rudolf Bahro. Denker – Warn­er – Refor­ma­tor, Berlin 2007