Lange vor der Reichseinigung 1871 gab es auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewichtige Versuche, eine deutsche Einheit zu gewinnen. Die Unruhen in den 1520er Jahren, als „Bauernkriege“ bekannt geworden, können als soziale und zugleich nationale Revolten begriffen werden. Sie wiesen — lange vor 1789 — auf bevorstehende umfassende gesellschaftliche Umwälzungen in Europa hin. Manche Autoren, etwa Ulrich Schwarze in seiner vierbändigen Geschichte der Deutschen, bezeichnen die Bauernaufstände als „erste deutsche Revolution“.
Der Aufruhr richtete sich gegen die Entrechtung und Verelendung der Landbevölkerung wie auch der (damals noch marginalen) städtischen Unterschicht sowie gegen die alleinige Macht der Fürsten und der Kirche. Als erste konkrete Erhebung gilt der Aufstand der Stühlinger Bauernschaft am 23. Juni 1524. Hier, im äußersten Süden Schwabens, war die Situation besonders drückend, da die Bevölkerung neben den „normalen“ Lasten auch noch für die Zerstörungen aus dem Schweizerkrieg (1499) aufkommen mußte. Der Funke sprang aus dem Südwesten bald nach Mitteldeutschland über. Am 13. Juli 1524 hielt Thomas Müntzer auf Schloß Allstedt seine berühmte Fürstenpredigt, in der er das Widerstandsrecht des gemeinen Mannes theologisch begründete.
Neben den naheliegenden sozialen Forderungen gab es im niederen Adel und den Bauernständen Überlegungen zur Umgestaltung des Reiches zugunsten einer gestärkten Zentralgewalt. Die Idee des universalen Kaisers, der eine supranationale Reichsvorstellung verkörperte, wurde als überholt betrachtet. Dabei sollte der Kaiser nicht verschwinden. Vielmehr sollte er als gestärkter Monarch einen einheitlichen Staat führen. Für diesen Zweck wurde es als notwendig erachtet, die Macht der unzähligen lokalen und regionalen Territorialherren einzuschränken und die Stellung (sowie Besitztümer!) der Kirche neu zu ordnen. In diesem Zusammenhang sind die Memminger „Zwölf Artikel“ wichtig, die von den oberschwäbischen Bauernhaufen am 20. März 1525 verabschiedet wurden und heute als erste Niederschrift von Freiheitsrechten in Europa gelten.
Als geistiger Anführer einer mit solch revolutionärer Programmatik auftretenden Bewegung kann beispielsweise Wendel Hipler genannt werden. Seine Pläne bezogen sich auf die vielfältigen Versuche der Vergangenheit, ein gesamtdeutsches „Reichsregiment“ (bestehend aus Ständevertretern) zu schaffen, das gewissermaßen — mit heutigen Augen betrachtet — als verfassungsgebende Versammlung hätte wirken sollen. Anmaßenden Grundherren — ob lokale Fürsten oder Kirchenmänner — sollte jede Ausbeutung der Bauernschaft unmöglich gemacht werden. Die dabei zutage tretende antiklerikale Stoßrichtung zielte auf den Besitz der Kirche und ihrer Einrichtungen ab, der verstaatlicht werden sollte. Auch die Idee eines stehenden Heeres der Zentralgewalt war ein revolutionärer Gedanke, verfügte jeder Landesfürst doch über eigene Söldnerarmeen.
Die Köpfe der Bauern, darunter aber auch Vertreter des niederen Adels, führten große Gruppen motivierter und mutiger Männer zusammen, denen es nicht an Opferbereitschaft, wohl aber an militärischer Schulung mangelte. Kampferprobte Führungspersönlichkeiten wie Florian Geyer oder Götz von Berlichingen waren in der Minderheit. Die Erhebungen der Bauernheere konnten daher nach Anfangserfolgen keine flächendeckenden Siege erzielen. Exemplarisch für Niederlagen aufgrund fehlenden militärischen Fachwissens kann die Schlacht von Frankenhausen genannt werden, bei der im Mai 1525 etwa 5000 Bauernsoldaten unter „Führung“ des radikalen Predigers Thomas Müntzer von den Soldaten des Landgrafen Philipp von Hessen massakriert wurden.
Speziell ob der fehlenden militärischen Köpfe gelang es den Feudalherren in den aufständischen Regionen Franken, Thüringen sowie im Schwarzwald- und Bodenseegebiet (wo man sich stark am schweizerischen Freibauerntum orientierte), die Bauernerhebungen niederzuwerfen. Eine umstrittene Rolle spielte Martin Luther. Selbst Revolutionär und gewissermaßen Anstifter zur Subversion, half der Reformator des deutschen Christentums nun der „alten Macht“, indem er „wider die mordischen und reubischen Rotten“ des Bauerntums agitierte und den Gläubigen die Teilnahme an den Auflehnungen untersagte.
Müntzer brach dabei mit seinem geistigen Mentor Luther nicht erst während der Bauernkriege, sondern bereits 1521. Seine Schriften richteten sich fortan mit Verve gegen Luther und dessen Herren. Als weltanschaulicher Bauernführer — speziell in Thüringen — und als „Theologe der Revolution“ (Ernst Bloch) hatte er großen Anteil an der Mobilisierung ebenjenes Heeres, das in Frankenhausen unterging. Luthers Intimfeind wurde gefangengenommen, gefoltert und mit einigen Dutzend seiner Anhänger geköpft.
Der erste Versuch einer zugleich sozialen wie nationalen Erhebung im deutschsprachigen Raum war gescheitert; eine Umgestaltung des feudalen Status quo unmöglich gemacht. Die sozialökonomische und politische Lage der deutschen Bauern verschlechterte sich im Gegenteil sogar weiter.
Literatur:
- Peter Blickle: Die Revolution von 1525, München 42004
- Klaus Ebert (Hrsg.): Thomas Müntzer im Urteil der Geschichte. Von Martin Luther bis Ernst Bloch, Wuppertal 1990
- Ulrich Schwarze: Die Kunst des Möglichen 800‑1871. Vom Reich ohne Macht bis in die kleindeutsche Einheit, Tübingen 2013