1882 — Der Deutsche Kolonialverein wird gegründet

“Große Staat­en, solche näm­lich, die sich unter gegebe­nen Ver­hält­nis­sen für groß hal­ten, wollen etwas wirken auch außer­halb ihrer eige­nen Gren­zen.” Mit diesem Satz begin­nt Golo Mann in sein­er Deutschen Geschichte das mit dem Begriff „Welt­poli­tik“ über­schriebene Kapi­tel. Denn, so Mann mit Blick auf das späte 19. Jahrhun­dert, auch der einzelne Bürg­er wolle, daß sein Staat sich “vor anderen Staat­en ausze­ich­net durch Leis­tun­gen der Herrschaft, der Wis­senschaft, der Wirtschaft, des Sportes.”

Und in den 1880er Jahren habe die europäis­che Staatenge­sellschaft eine eben­solche Peri­ode des „expan­siv­en, aben­teuer­lichen Ehrgeizes“ erlebt. Ger­ade die ver­hält­nis­mäßig lang anhal­tende Frieden­sphase, deren Gefährdung inner­halb des Kon­ti­nents auf­grund des vir­u­len­ten Risikos nie­mand in die Waagschale habe wer­fen wollen, hat nach Überzeu­gung Manns den Kolo­nial­is­mus auf anderen Kon­ti­nen­ten befördert. Kriege um Kolonien, so kon­sta­tiert der His­torik­er, seien zwis­chen den europäis­chen Mächt­en jeden­falls nicht ent­standen.

Deutsch­land kon­nte sich erst nach dem gewonnenen Deutsch-Franzö­sis­chen Krieg 1870/71 an diesem Wet­tbe­werb beteili­gen. Daß zu diesem Zeit­punkt bere­its pri­vate Auswan­der­ervere­ine existierten — einige waren bere­its seit dem 17. Jahrhun­dert aktiv -, bere­it­ete den neuen poli­tis­chen Bestre­bun­gen einen dankbaren Boden. Während sich die gemein­nützi­gen Auswan­der­ervere­ine aber vor allem der Wohlfahrt und den Start­per­spek­tiv­en der Deutschen im Aus­land ver­schrieben hat­ten, ging es nun­mehr darum, Kraft und Kap­i­tal der Auswan­der­er gezielt dor­thin zu steuern, wo dem Heimat­land auch ein Nutzen entste­hen kön­nte. Eine homo­gene und sin­nvoll gebün­delte Koloni­sa­tion, so der Anspruch, könne auch die wirtschaftliche Kraft der Deutschen im Aus­land wirkungsvoll ver­stärken und im Ide­al­fall einen ständi­gen Wirtschaftsverkehr zu Deutsch­land gewährleis­ten. Konkret soll­ten auf pri­vatem Weg Pro­duk­tions­fak­toren und Ansiedelun­gen gegrün­det und diese unter deutsche Schutzherrschaft gestellt wer­den.

Als „Lob­byver­band“ wurde am 6. Dezem­ber 1882 in Frank­furt am Main der Deutsche Kolo­nialvere­in gegrün­det, der zweiein­halb Jahre später seinen Sitz nach Berlin ver­legte. Zu den treiben­den Kräften bei der Grün­dung zählten der Unternehmer Johannes von Miquel, Indus­trielle wie Carl Fer­di­nand Stumm, Louis Baare und Hen­ry Axel Bueck sowie der kon­ser­v­a­tive His­torik­er, Pub­lizist und Poli­tik­er Hein­rich von Tre­itschke. Grün­dung­spräsi­dent wurde Her­mann Fürst zu Hohen­lo­he-Lan­gen­burg. Als Moti­va­tion für die Grün­dung wer­den in der Lit­er­atur die Hoff­nung auf Wirtschaftswach­s­tum und die Sorge vor Über­bevölkerung, aber auch der Ver­such genan­nt, der Sozialdemokratie durch innen­poli­tis­che Entspan­nung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Schon bald nach sein­er Grün­dung hat­te der Vere­in rund 15000 Mit­glieder, die sich über­wiegend aus der Poli­tik, der Indus­trie, dem Han­del und dem Bankwe­sen rekru­tierten. Bere­its 1887 hat­te der Deutsche Kolo­nialvere­in 114 Zweigvere­ine, welche die Koloni­sa­tion als nationale Auf­gabe pro­te­gierten. Zur Ver­bre­itung sein­er Bestre­bun­gen diente ein eigenes Medienor­gan: die Deutsche Kolo­nialzeitung.

Schon 1884 kon­sti­tu­ierte sich ein „Konkur­ren­zver­band“ in Gestalt der von Carl Peters gegrün­de­ten Gesellschaft für deutsche Koloni­sa­tion. Sie galt als radikaler und hegte das Ziel der prak­tis­chen Koloni­sa­tion. Zudem waren ihre Forderun­gen in ihrer Aus­for­mung noch konkreter und ver­sprüht­en zugle­ich einen dezi­diert nationalen Impe­tus. So forderte sie die Begrün­dung von deutsch-nationalen Kolonien, die aus­drück­liche Unter­stützung deutsch­er Koloni­sa­tion­sun­ternehmungen (vornehm­lich Deutsch-Ostafrikas, welch­es die Gesellschaft erwarb) sowie die gezielte Hin­lenkung der deutschen Auswan­derung in geeignete Gebi­ete und die Förderung deutsch-nationaler Inter­essen. Daß die Deutsche Kolo­nialge­sellschaft im Jahr 1887 in der Gesellschaft für deutsche Koloni­sa­tion aufging, darf indes nicht mit einem Konzen­tra­tionsprozeß ver­wech­selt wer­den: Vielmehr bildete die Fusion gle­ich­sam den Startschuß für eine regel­rechte Grün­dungswelle für Kolo­nialvere­ine. Inner­halb kürzester Zeit kon­sti­tu­ierte sich ein Dutzend weit­er­er ähn­lich aus­gerichteter Vere­ine.

Nach­dem der Reich­stag noch 1880 die Samoa­vor­lage, in der eine Staats­garantie für die Über­nahme eines bankrot­ten Han­delshaus­es gefordert wurde, abgelehnt hat­te, entschloß sich die deutsche Reich­sregierung 1884 dazu, die Unternehmungen hanseatis­ch­er Kaufhäuser und von Kolo­nialvere­inen unter ihren Schutz zu nehmen und deren Erwer­bun­gen gegen fremde, beson­ders britis­che Anfech­tun­gen zu vertei­di­gen. Dies geschah dann erst­mals bei der Han­del­snieder­las­sung des Bre­mer Haus­es Lüderitz in Angra Peque­na (heute Namib­ia), die gle­ich­sam den Grund­stein für die deutsche Kolonie Süd­west­afri­ka legte, für das Unter­fan­gen jedoch auf Wasser­liefer­un­gen aus Kap­stadt angewiesen war und sich zugle­ich von den Englän­dern arg­wöh­nisch beäugt sah. In ähn­lich­er Schutz­funk­tion trat die Reich­sregierung in Kamerun und Togo, 1885 in Neuguinea und Ostafri­ka in Erschei­n­ung.

Reich­skan­zler Otto von Bis­mar­ck hat­te die Kolo­nialbe­stre­bun­gen lange Zeit nicht son­der­lich ernst genom­men und soll ein­mal bemerkt haben, seine eigene Afrikakarte liege in Europa: „hier Ruß­land, dort Frankre­ich und mit­ten­drin wir“. Gle­ich­wohl gelang ihm in Ostafri­ka die friedliche Ver­ständi­gung mit Eng­land und Frankre­ich über die Abgren­zung der deutschen Gebi­ete. Im Reich­stag, der dem Erwerb von Kolonien und vor allem den daraus resul­tieren­den Kosten eben­so wie der Kan­zler skep­tisch gegenüber­stand, sagte Bis­mar­ck: “Wir wollen keine Treib­hauskolonien, son­dern nur den Schutz der aus sich selb­st her­anwach­senden Unternehmungen.”

Bis­mar­ck ver­sicherte gegenüber dem britis­chen Außen­min­is­teri­um, Deutsch­land wolle “nach wie vor keine Kolonien im englis­chen Sinne, son­dern nur unmit­tel­bare Pro­tek­tion unser­er mit Char­ter zu verse­hen­den Land­sleute.” Zur Sicherung der Schutzerk­lärung entsandte das Außen­min­is­teri­um auf Weisung Bis­mar­cks im August 1884 zwei Korvet­ten nach Süd­west­afri­ka. Am 6. August 1884 ließ der Kapitän der „Elis­a­beth“ in Angra Peque­na die deutsche Fahne hissen und erk­lärte: “Seine Majestät, der deutsche Kaiser Wil­helm I., König von Preußen, haben mir befohlen, mit Aller­höch­st­deren gedeck­ter Korvette “Elis­a­beth” nach Angra Peque­na zu fahren und das dem Her­rn Lüderitz gehörige Ter­ri­to­ri­um an der West­küste Afrikas unter den direk­ten Schutz sein­er Majestät zu stellen.” Der­weil wur­den vom Kapitän des Kanonen­bootes „Wolf“ auch an der Mün­dung des Swakop und nahe der Gren­ze zu Ango­la in Cape Frio die deutsche Flagge gehißt und Gren­zpfäh­le geset­zt. Erst dieser „Akt geheiligter Tra­di­tion“ wurde von Eng­land akzep­tiert — man begrüßte am 22. Sep­tem­ber 1884 offiziell das Deutsche Reich als Nach­barn sein­er Kolonie im Süden.

Golo Mann faßt die poli­tis­che Wende zu „Welt­poli­tik“ nach 1890 in fol­gen­dem Satz zusam­men: „Was in den achtziger Jahren die Impro­vi­sa­tion einzel­ner war, wurde in den Neun­zigern zur öffentlichen Philoso­phie“. Das änderte indes nichts daran, daß der Auf­bau eines deutschen Kolo­nial­re­ich­es bere­its einige Jahre später abgeschlossen und mit dem Zusam­men­bruch von 1918 endgültig been­det wurde. Verblieben sind unüberse­hbare deutsche Spuren in den früheren Kolonien wie Ost- und Süd­west­afri­ka — und die Nord­seein­sel Hel­goland. Sie war 1890 durch den deutsch-britis­chen Ver­trag, der eine umfassende Abgren­zung der kolo­nialen Inter­es­sen­gren­zen sowie wech­sel­seit­i­gen Verzicht darstellte, zum Deutschen Reich gekom­men. Die Insel San­si­bar, über die sich im Gegen­zug die Briten freuen durften, ist längst nicht mehr in deren Besitz.

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Lit­er­atur:

  • Die Deutsche Kolo­nialge­sellschaft 1882 bis 1907, Berlin 1908
  • Horst Gründer:Geschichte der deutschen Kolonien, Pader­born 2004
  • Golo Mann: Deutsche Geschichte des neun­zehn­ten und zwanzig­sten Jahrhun­derts, Frank­furt a. M. 1958
  • Mary E. Townsend: Macht und Ende des deutschen Kolo­nial­re­ich­es, Leipzig o.J. [1932]