1941 — Am 11. Dezember beginnt der Zweite Weltkrieg

Es ist ein alter akademisch-poli­tis­ch­er Stre­it, wann genau eigentlich der Zweite Weltkrieg begonnen habe. Ange­boten wer­den Dat­en wie der 7. Juli 1937, der Beginn der heißen Phase des japanisch-chi­ne­sis­chen Kon­flik­ts, ein­schließlich der im Hin­ter­grund bere­its damals vorhan­de­nen Ver­wick­lung der USA und der West­mächte in den asi­atis­chen Kon­flikt. Meist­ge­nan­nt ist der 1. Sep­tem­ber 1939. Aber auch der 6. Juni 1944, der Tag der vollen mil­itärischen Rück­kehr der West­mächte nach Europa oder der 22. Juni 1941, der Beginn des deutschen Angriffs auf die Sow­je­tu­nion, sind ins Spiel gebracht wor­den. Schließlich gehört der 11. Dezem­ber des­sel­ben Jahres zu den Favoriten.

Aus deutsch­er, europäis­ch­er Sicht spricht manch­es für das let­zte Datum. An diesem Tag verkün­dete Deutsch­lands Dik­ta­tor vor dem Reich­stag, daß er sich nun auch sein­er­seits offiziell als mit den Vere­inigten Staat­en von Ameri­ka im Krieg befind­lich betra­chte. Weil Japan wenige Tage zuvor die USA ange­grif­f­en hat­te, teil­ten sich die größeren Mächte der Welt damit weit­ge­hend in zwei sich wech­sel­seit­ig bekriegende Lager. Lediglich zwis­chen Japan und der UdSSR schwiegen weit­er­hin die Waf­fen.

Für Hitlers For­mulierung gab es gute Gründe. Inof­fiziell führten die USA bere­its seit Monat­en Krieg gegen Deutsch­land, spätestens seit der US-Präsi­dent im Sep­tem­ber 1941 sein­er Flotte den Schießbe­fehl auf deutsche Schiffe erteilt hat­te, soll­ten sich diese in der von den USA beansprucht­en Zone des Atlantiks aufhal­ten. Diese Zone wurde im Jahr 1941 stetig erweit­ert, bis sie sich fast nach Europa hin aus­dehnte. Ein­seit­ige US-Waf­fen­liefer­un­gen an deutsche Kriegs­geg­n­er und Druck auf allen möglichen poli­tis­chen und wirtschaftlichen Ebe­nen hat­te es ohne­hin seit dem Som­mer 1940 bere­its gegeben. Der dama­lige Sieg über Frankre­ich zwang die USA zu gewalt­samem Ein­greifen, woll­ten sie ein von Deutsch­land dominiertes Europa ver­hin­dern. Wenige Tage vor Hitlers Reich­stagsauftritt berichtete die US-Presse vor diesem Hin­ter­grund wahrheits­gemäß über die aktuellen Pläne des US-amerikanis­chen Mil­itärs zur Auf­stel­lung eines Mil­lio­nen­heeres, das bis 1943/44 zum Ein­greifen in Europa in der Lage sein sollte.

Damit war klar, daß die bei­den kom­menden Welt­mächte der zweit­en Hälfte des 20. Jahrhun­derts bald in Rich­tung Europa und Deutsch­land offen­siv wer­den wür­den. Den ersten Schlag set­zen die Sow­jets am 5. Dezem­ber 1941 mit ihrem erfol­gre­ichen Gege­nan­griff vor Moskau. Zwar waren die deutschen Stre­itkräfte im Som­mer 1941 der damals als Über­raschung geplanten sow­jetis­chen Attacke auf Europa knapp zuvorgekom­men und hat­ten der Roten Armee enor­men Schaden zuge­fügt. Deren Sub­stanz und die Tiefen­rüs­tung der sow­jetis­chen Indus­trie erwiesen sich jedoch als fähig, selb­st den Ver­lust von Mil­lio­nen Sol­dat­en und Zehn­tausenden gepanz­ert­er Fahrzeuge abz­u­fan­gen. Man kämpfe längst ums bloße Über­leben, gegen einen in allen Belan­gen über­lege­nen Geg­n­er, notierte ein deutsch­er Gen­er­al in diesem Dezem­ber.

Der innere Kreis der Nation­al­sozial­is­ten fühlte sich für diesen Krieg offen­bar nicht ver­ant­wortlich. Das fällt schw­er zu glauben, geht jedoch aus jenen Quellen recht ein­deutig her­vor, die Ein­blick in die Stim­mung und Entschei­dungs­find­ung dieses Zirkels geben. Den geball­ten Wah­n­witz der Schluß­fol­gerung, die man daraus zog, faßte Joseph Goebbels in einem Tage­buchein­trag am 12. Dezem­ber 1941 unter Beru­fung auf Hitlers berüchtigte Prophezeiung vom 30. Jan­u­ar 1939 lap­i­dar zusam­men: „Er hat den Juden prophezeit, daß, wenn sie noch ein­mal einen Weltkrieg her­beiführen wür­den, dies ihre Ver­nich­tung sein wird. Das ist keine Phrase gewe­sen. Der Weltkrieg ist da, die Ver­nich­tung des Juden­tums muß die notwendi­ge Folge sein.“

Diese Notiz nach einem Tre­f­fen Hitlers mit den Reichs- und Gauleit­ern rei­hte sich in eine ganze Kette von öffentlichen Äußerun­gen von seit­en des Regimes ein, die alle in die gle­iche Rich­tung deuteten. Hitler sprach mehrfach per­sön­lich von der Aus­rot­tung des Juden­tums, sowohl in der Rede vom 11. Dezem­ber als auch in fol­gen­den Ansprachen wie beim tra­di­tionellen Auftritt zur Machter­grei­fung am 30. Jan­u­ar 1942. Damit kon­nte die Weltöf­fentlichkeit eigentlich informiert sein, doch hegten offen­bar die meis­ten Per­so­n­en ein­schließlich der von der Todes­dro­hung Betrof­fe­nen weit­er­hin die Hoff­nung, es bleibe unter diesem Stich­wort bei der gle­ichzeit­ig laut­stark verkün­de­ten „Umsied­lung in den Osten“. Selb­st bei Goebbels find­en sich im Tage­buch von 1942 spätere Noti­zen, die etwas Der­ar­tiges andeuten. Diese Ver­sion wurde der Öffentlichkeit in den kom­menden Jahren mas­siv nahege­bracht, neben der fort­ge­set­zten Agi­ta­tion, daß es sich um einen „jüdis­chen“ Krieg han­deln würde.

Für Deutsch­lands Stre­itkräfte, Staat und Volk brach mit dem vollen Aus­bruch des Weltkriegs zum Jahreswech­sel 1941/42 eine Art his­torisch­er End­kampf an. Seit im Umfeld der bürg­er­lichen Rev­o­lu­tion von 1848 die Vision eines deutsch dominierten Mit­teleu­ropa zwis­chen den vier Meeren, zwis­chen Nord- und Ost­see, Adria und Schwarzem Meer, aufge­taucht war, stand diese Möglichkeit auf der europäis­chen Tage­sor­d­nung. Im deutsch-öster­re­ichisch-ungarischen Bünd­nis des Ersten Weltkriegs schien sie phasen­weise auch Real­ität zu wer­den. Nun macht­en sich die Welt­mächte auf, Deutsch­land diese Option und über­haupt eine eigen­ständi­ge Rolle als staatliche Macht dauer­haft zu nehmen.

Auf einen Krieg dieser Dimen­sion war Deutsch­land bis dahin in der Tat nicht vor­bere­it­et. Den Hin­weis des zuständi­gen Gen­er­als Thomas, es man­gele an Tiefen­rüs­tung, schmetterte der Dik­ta­tor im Som­mer 1939 noch mit dem Hin­weis ab, man brauche keine Tiefen­rüs­tung, denn man wolle schließlich nicht Krieg führen, son­dern bluffen. Fol­gerichtig erre­icht­en die Rüs­tungszahlen erst im Som­mer 1944 einen Stand, der 1941 mit einiger Wahrschein­lichkeit noch zum mil­itärischen Sieg über die UdSSR aus­gere­icht hätte. Zu diesen ungün­sti­gen Voraus­set­zun­gen im Waf­fen­ver­gle­ich gesellte sich im weit­eren Ver­lauf des Krieges der zunehmende Zweifel des Regimes an der eige­nen Bevölkerung, der sich in stetig wach­sen­dem Ter­ror äußerte. Da zugle­ich der Bomben­ter­ror der Feind­staat­en deren Ver­nich­tungsab­sicht­en täglich demon­stri­erte, blieb nach Ansicht der über­großen Mehrheit der Deutschen der weit­ere Kampf den­noch die einzig mögliche Entschei­dung.

Die Geschichte der inter­na­tionalen Poli­tik des Zweit­en Weltkriegs ging mit dem Dezem­ber 1941 im wesentlichen zu Ende, soweit es Deutsch­land und Japan betraf. Da es nach dem Willen der Alli­ierten keine Ver­hand­lun­gen mit diesen Staat­en geben sollte, beschränk­te sich die weit­ere Diplo­matie auf die inner­al­li­ierten Abmachun­gen über die wün­schenswerte Nachkrieg­sor­d­nung und die bis dahin noch zu tre­f­fend­en mil­itärischen Maß­nah­men. Schon am 1. Jan­u­ar 1942 begann sich die alli­ierte Kriegskoali­tion als „Vere­inte Natio­nen“ zu beze­ich­nen. Mit der vollen Ent­fal­tung des Weltkriegs im Dezem­ber 1941 war auch bere­its die prinzip­ielle Entschei­dung gefall­en, wie er aus­ge­hen würde.

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Lit­er­atur:

  • Heinz Magen­heimer: Kriegswen­den in Europa. Führungsentschlüsse, Hin­ter­gründe, Alter­na­tiv­en, München 1996
  • Ste­fan Scheil: Die Eskala­tion des Zweit­en Weltkriegs von 1940 bis zum Unternehmen Bar­barossa 1941, Berlin 2011