Revolte gegen die moderne Welt — Julius Evola, 1935

Als junger Mann hat­te Julius Evola sich zum »absoluten Indi­vid­u­al­is­mus« bekan­nt und aktiv an den Bewe­gun­gen des kün­st­lerischen Mod­ernismus, am Futur­is­mus und erst recht am Dadais­mus, mit­gewirkt. 1934 veröf­fentlichte er seine Kriegserk­lärung an die Mod­erne. Die Stoßrich­tung dieses Angriffs ist wed­er sozi­ol­o­gisch noch wirk­lich poli­tisch, vielmehr entspringt er aus ein­er Meta­physik der Geschichte. Evola sieht sämtliche Defek­te der mod­er­nen Welt als logis­che Fol­gen eines allmäh­lichen Ver­fall­sprozess­es, dessen Ursprung min­destens zweiein­halb­tausend Jahre zurück­liegt. Der Anbruch der Mod­erne hat ihn lediglich beschle­u­nigt; mit ihr ist das Ende des großen Zyk­lus erre­icht und alle Tran­szen­denz aus der Lebenswelt ver­schwun­den.

Die Geschichte ist für Evola ein rück­läu­figer, ein Prozeß der Dekadenz, der mit der Mod­erne seinen Tief­punkt erre­icht hat. An seinem Ende bleiben nur die ökonomis­chen Werte, die die »Herrschaft der Masse« charak­ter­isieren und deren Ver­fechter nun die Macht über­nom­men haben. Alles Geistige, Mannhafte, Hero­is­che verküm­mert, das »Licht des Nor­dens« verlis­cht, während allerorten die zer­set­zen­den Werte der »gynokratis­chen« Kul­turen des Südens um sich greifen.

Evolas Geschichts­bild beruht zum einen auf ein­er hier­ar­chisch-dual­is­tis­chen räum­lichen Struk­tur, einem rig­orosen Gegen­satz zwis­chen dem, was »oben«, und dem, was »unten« ist; zum anderen auf ein­er zeitlichen Struk­tur, dem Gegen­satz zwis­chen fer­nem Ursprung und Gegen­wart.

Der Schlüs­selgedanke ist, daß Höheres niemals aus Min­der­w­er­tigem, Mehr niemals aus Weniger her­vorge­hen kann – aus diesem Grund lehnte Evola auch den Dar­win­is­mus ab. Das »Höhere« ist für Evola gle­ichbe­deu­tend mit dem masku­li­nen Prinzip, mit Elite, tätiger Unper­sön­lichkeit, Geist, Staat, Form, Qual­ität. Als »min­der­w­er­tig« gel­ten ihm das fem­i­nine Prinzip, Masse, Gefüh­le, Seele, Volk, Demokratie, Stoff, Menge. Die Mod­erne ist somit nicht nur der Tri­umph des bürg­er­lichen Indi­vid­u­al­is­mus, son­dern auch der Triebe, Instink­te und unter­schied­slosen Lei­den­schaften, der seel­is­chen über die geistige Domäne, das Reich der »apollinis­chen« Klarheit und der Ratio­nal­ität.

Evola, der sich zeit seines Lebens für die ori­en­tal­is­chen Tra­di­tio­nen eben­so wie für die Sym­bo­l­ik und die Eso­terik inter­essierte, glaubte an eine gemein­same Tra­di­tion aller Kul­turen des Alter­tums, die sich durch ihr »hero­is­ches und kriegerisches« Wesen ausze­ich­nete (in diesem Punkt wiederum unter­schei­det er sich radikal von dem anderen Schul­haupt der Tra­di­tion­al­is­ten, René Guénon, der sich weigerte, im König­tum ein ähn­lich­es Prinzip der geisti­gen Würde verkör­pert zu sehen wie im Priester­tum), und er glaubte an die Macht »solar­er« Kräfte.

Auf dieser Grund­lage sieht er einen ewigen Kampf zwis­chen den Kräften der Sonne und des Mon­des um die Vorherrschaft über die Geschichte. Diesen Kampf set­zt er mit dem, sein­er Mei­n­ung nach fun­da­men­tal­en, Gegen­satz zwis­chen masku­linem und fem­i­ninem Prinzip gle­ich. Alles fol­gt also aus diesem Gegen­satz, der die geschichtliche wie die poli­tis­che Domäne umfaßt: der Kampf der Eliten gegen die Masse, des Reichs gegen die Nation, des Staats gegen das Volk, des Poli­tis­chen gegen das Wirtschaftliche und Soziale.

Zwar basiert Evolas Geschichtsver­ständ­nis auf einem zyk­lis­chen statt auf einem lin­earen Welt­bild; in sein­er Struk­tur jedoch unter­schei­det es sich nicht von der Ide­olo­gie des Fortschritts – vielmehr set­zt es sie voraus. Evola verkehrt sie lediglich in ihr Gegen­teil: Über­all, wo die Anhänger der Fortschrittside­olo­gie opti­mistisch von Verbesserung sprechen, sieht Evola Ver­schlechterung. Den Fortschritt gibt es dur­chaus: näm­lich den fortschre­i­t­en­den Ver­fall.

Im ersten Teil sein­er Revolte (»Die Welt der Tra­di­tion«) entwirft Evola eine Dok­trin fun­da­men­taler Kat­e­gorien der tra­di­tionellen Welt: göt­tlich­es König­tum, Frieden und Gerechtigkeit, Staat und Reich, Rit­us, Ini­ti­a­tion und Heilig­tum, Krieg usw. Der zweite Teil (»Entste­hung und Antlitz der mod­er­nen Welt«) legt die tra­di­tionale Dok­trin his­torisch­er Zyklen dar und entwick­elt davon aus­ge­hend eine Meta­physik der Geschichte. Evola beleuchtet die Merk­male der mod­er­nen Welt und jene der tra­di­tionellen Gesellschaften und geht dabei u. a. auf Fra­gen der Poli­tik, des Rechts, des Auf­stiegs und Unter­gangs von Reichen, der Kirchengeschichte, der gesellschaftlichen Insti­tu­tio­nen, der Beziehun­gen zwis­chen den Geschlechtern ein.

Revolte gegen die mod­erne Welt gilt all­ge­mein als Evolas bedeu­tend­stes Werk, als das­jenige, in dem sein Welt­bild am deut­lich­sten zum Aus­druck kommt. Es wurde schon 1935 (Stuttgart: DVA) mit eini­gen Änderun­gen als Erhe­bung wider die mod­erne Welt ins Deutsche über­set­zt und machte großen Ein­druck auf Got­tfried Benn. Evola sel­ber reiste 1934 erst­mals nach Deutsch­land. Seine Beziehun­gen zum Umfeld der Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion, ins­beson­dere zum Berlin­er Her­ren­klub, wo er auf Ein­ladung Hein­rich von Gle­ichens sprach, waren nicht frei von Mißver­ständ­nis­sen. Das nation­al­sozial­is­tis­che Regime, dessen »biol­o­gis­ch­er Ras­sis­mus« und »ple­be­jis­ch­er« Charak­ter ihm miß­fie­len, erwiderte seine Abnei­gung.

– — –

Zitat:

Lib­er­al­is­mus, dann Demokratie, dann Sozial­is­mus, Radikalis­mus, schließlich Kom­mu­nis­mus und Bolschewis­mus sind nur als unter­schiedliche Grade ein und des­sel­ben Übels in die Geschichte gekom­men, als Sta­di­en, die dem jew­eils näch­sten den Weg bere­it­en und zusam­men einen Ver­fall­sprozeß beze­ich­nen.

– — –

Aus­gabe:

  • 4. Auflage, neue Über­set­zung der 3., von let­zter Hand verbesserten Aus­gabe (Rom 1969), Enger­da: Arun 2002

– — –

Lit­er­atur:

  • Christophe Boutin: Poli­tique et Tra­di­tion. Julius Evola dans le siè­cle, Paris 1992
  • H. T. Hansen: Julius Evola und die deutsche Kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tion, in: Crit­icón (1998), Heft 158