Der Nomos der Erde — Carl Schmitt, 1950

Carl Schmitt schrieb den Nomos der Erde, seine let­zte umfan­gre­iche, geschlossene Veröf­fentlichung, in den let­zten Jahren des Zweit­en Weltkriegs, kon­nte es jedoch erst 1950 veröf­fentlichen. Er beschreibt darin die Entste­hung und den Nieder­gang des europäis­chen Völk­er­rechts, des Jus Pub­licum Europaeum. Dabei geht Schmitt von einem Rechtsver­ständ­nis aus, das der heuti­gen pos­i­tivis­tis­chen Rechtswis­senschaft völ­lig fremd bleiben muß.

Das Recht kann dem­nach nicht ein­fach als ein abstrak­tes Sys­tem von Nor­men aufge­faßt wer­den, son­dern muß stets in Verbindung mit dem Ort sein­er Gel­tung betra­chtet wer­den. Schmitt sieht einen ursprünglichen, mythis­chen Zusam­men­hang zwis­chen der Erde und den Ord­nun­gen, die die Men­schen auf ihr erricht­en. Die Erde ermöglicht als Mut­ter des Rechts den Men­schen die Schaf­fung von Ord­nun­gen auf ihrer Ober­fläche, von der sim­plen Umzäu­nung über die Fam­i­lie bis zum Staatswe­sen.

Erster rechts­be­grün­den­der Akt ist immer eine »Land­nahme«, bei der einem bes­timmten Teil des Bodens ein ein­teilen­des Maß gegeben wird. Jedes echte Recht entste­ht daher aus der Ein­heit von Ord­nung und Ortung. Dieser Zusam­men­hang macht für Schmitt die wahre Bedeu­tung des Wortes Nomos aus, welch­es er deshalb auch nicht ein­fach als Beze­ich­nung für Geset­ze oder son­stige Regelun­gen ver­wen­det sehen will. Der Erde, dem Land, stellt er das Meer gegenüber, das sich auf­grund sein­er Beschaf­fen­heit dem ord­nen­den und ortenden Recht entzieht. Jen­er ele­mentare Gegen­satz – dem Schmitt bere­its Land und Meer (1942) gewid­met hat – war dem europäis­chen Völk­er­recht tief bewußt, weshalb es auch den Grund­satz der Frei­heit der Meere aufgestellt hat.

Den Beginn der Epoche des Jus Pub­licum Europaeum set­zt Schmitt im 15. und 16. Jahrhun­dert an, dem Zeital­ter der Ent­deck­ung ein­er »Neuen Welt«. Die Land­nahme der europäis­chen Mächte auf dem amerikanis­chen Kon­ti­nent ging mit ein­er verän­derten Raumvorstel­lung ein­her. Zum ersten Mal in der Geschichte entwick­elte sich ein plan­e­tarisches Bewußt­sein, das die gesamte Erd­kugel umfaßte. Die neu ent­deck­ten freien Räume warteten schein­bar nur darauf, von den sich ihrer geschichtlichen Macht bewußten Völk­ern Europas in Besitz genom­men zu wer­den.

Während nun die ersten Aufteilun­gen des neuen Lan­des durch die Autorität des Pap­stes sank­tion­iert wur­den, die von den damals noch katholis­chen Mächt­en als maßgebende anerkan­nt wurde, kam es mit den Reli­gion­skriegen des 16. und 17. Jahrhun­derts zu einem grundle­gen­den Wan­del. Damit mußten auch spez­i­fis­che For­men ein­er neuen völk­er­rechtlichen Ord­nung entste­hen. In den überseeis­chen Gebi­eten wur­den mit­tels soge­nan­nter Fre­und­schaft­slin­ien Räume aus­ge­gren­zt, in denen den erobern­den Mächt­en keine Beschränkun­gen mehr aufer­legt waren und lediglich das Recht des Stärk­eren galt. Hier herrschte der Naturzu­s­tand im Sinne von Hobbes€’™ homo homi­ni lupus. Dabei war der Sinn dieser ami­ty lines aber ger­ade die Sicherung des Friedens in Europa. Die Kon­flik­te auf dem neuen Kon­ti­nent soll­ten nicht auch die ohne­hin prob­lema­tis­che europäis­che Sit­u­a­tion belas­ten und wur­den deshalb als etwas ganz anderes gew­ertet, das den herkömm­lichen Regelun­gen nicht unter­wor­fen war. Darin lag aber auch im Kern schon die Etablierung ein­er »Neuen Welt«, die die europäis­che Ord­nung in Frage stellen mußte.

Das europäis­che Völk­er­recht beruhte laut Schmitt auf der Neu­tral­isierung kon­fes­sioneller Gegen­sätze. Dies wurde möglich durch die Entste­hung von sou­verä­nen, gle­ich­berechtigten Staat­en. Alles, was das Jus Pub­licum Europaeum aus­gemacht hat­te, beruhte dem­nach auf seinem wesentlich zwis­chen­staatlichen Charak­ter. Das große Ver­di­enst des europäis­chen Völk­er­rechts war unzweifel­haft die Begren­zung und Hegung des Krieges. Gelun­gen ist ihm dies, so Schmitt, durch die Zurück­drän­gung des »gerecht­en Krieges«, der eine jus­ta causa voraus­set­zt.

Nach dem for­mal­isierten Kriegs­be­griff des europäis­chen Völk­er­rechts war ein Krieg nun aber schon dann gerecht, wenn er zwis­chen sou­verä­nen Staat­en auf europäis­chem Boden geführt wurde. Es wurde nicht nach moralis­chen Motiv­en diskri­m­iniert. Der europäis­che Staatenkrieg hat­te somit Duellcharak­ter. Er lief nach for­malen Regeln ab, denen die Parteien bei­der­seits unter­la­gen. Der Feind war als Staat immer auch gerechter Feind, jus­tus hostis, und wurde damit in sein­er grund­sät­zlichen Integrität respek­tiert. Dadurch erst wurde der Abschluß eines Friedensver­trages möglich, in dem immer auch eine Amnestieklausel enthal­ten war. Zugrunde lag hier allerd­ings die Vorstel­lung ein­er europäis­chen Rau­mord­nung, auf die sich der Gel­tungs­bere­ich dieses Rechts beschränk­te. Ter­ri­to­ri­ale Änderun­gen als Bedro­hung des Gle­ichgewichts inner­halb dieses Raumes betrafen stets alle darin vere­inigten Mächte, aber eben auch nur diese. Daher mußte das Erlöschen ein­er konkreten europäis­chen Raumvorstel­lung schließlich zum Unter­gang des Jus Pub­licum Europaeum führen.

Mit der Anerken­nung immer weit­er­er nich­teu­ropäis­ch­er Staat­en wurde aus dem Völk­er­recht eine sinnlose Anhäu­fung all­ge­mein­er Regeln und Grund­sätze, »ein struk­tur­los­es Chaos, das kein­er gemein­samen Hegung des Krieges mehr fähig war und für das schließlich nicht ein­mal mehr der Begriff Zivil­i­sa­tion als Sub­stanz ein­er gewis­sen Homogen­ität gel­ten kon­nte«. Jen­er Uni­ver­sal­isierung­sprozeß gipfelte dann nach dem Ersten Weltkrieg im Gen­fer Völker­bund, der sich aus Staat­en aller Erdteile zusam­menset­zte. Es gab nun keine allen ein­leuch­t­en­den Prinzip­i­en mehr, die die Lage hät­ten ord­nen kön­nen, »und es waren Delegierte von Paraguay, Uruguay und ein indis­ch­er Maharad­schah, die Europa über die Ein­heit der Erde belehrten«.

Schmitt wid­met sich beson­ders der Rolle der USA und ihrer Dialek­tik von Iso­la­tion und Inter­ven­tion, die er als Folge eines spez­i­fis­chen Son­der­be­wußt­seins inter­pretiert. Die »Neue Welt« sieht sich dem­nach als Reich der Frei­heit und des Friedens, dem ein kor­ruptes, abgelebtes Europa gegenüber­ste­ht. Ihr fehlt aber auch ein klar­er, auf einen bes­timmten Boden bezo­gen­er Raum­be­griff, was es ihr ermöglicht, ihren Ein­flußbere­ich beliebig weit auszudehnen und einen glob­alen Uni­ver­sal­is­mus voranzutreiben. Im Angesicht des Kampfes gegen die »Achse des Bösen« leucht­en dem heuti­gen Leser diese Aus­führun­gen Schmitts unmit­tel­bar ein.

Mit der Zer­störung des europäis­chen Völk­er­rechts und der fortschre­i­t­en­den Tech­nisierung mußte auch eine Hegung des Krieges unmöglich wer­den. Der Feind kon­nte nun nicht mehr als gle­ich­berechtigt anerkan­nt wer­den, son­dern wurde zum Ver­brech­er, den es zu ver­nicht­en gilt. Der Nomos der Erde führt dem Leser vor Augen, wie eine großar­tige Leis­tung des europäis­chen Geistes dem auflösenden Uni­ver­sal­is­mus zum Opfer fall­en kon­nte. Schmitt macht zudem deut­lich, daß der Frieden etwas ist, das am aller­wenig­sten durch human­itäre Phrasen garantiert wer­den kann.

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Zitat:

Jahrtausende­lang hat­te die Men­schheit wohl ein mythis­ches Bild, aber keine wis­senschaftliche Erfahrung von der Erde im Ganzen. Es gab keine Vorstel­lung eines Plan­eten, der von men­schlich­er Mes­sung und Ortung erfaßt und allen Men­schen und Völk­ern gemein­sam war. Es fehlte jedes in diesem Sinne glob­ale Bewußt­sein und daher auch jedes auf das gemein­same Gestirn gerichtete poli­tis­che Ziel.

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Aus­gabe

  • 4. Auflage, Berlin: Dunck­er & Hum­blot 1997

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Lit­er­atur

  • Alain de Benoist: Carl Schmitt und der Krieg, Berlin 2007
  • Felix Blind­ow: Carl Schmitts Reich­sor­d­nung. Strate­gie für einen europäis­chen Großraum, Berlin 1999