Benoist, Alain Marie de, Publizist, geboren 1943

Hin­sichtlich Alain de Benoists, dem Vor­denker der Nou­velle Droite, existieren viele Mißver­ständ­nisse. Eines davon ist, ihn als »Anti­aufk­lär­er« oder »Gege­naufk­lär­er« zu betra­cht­en. Denn zu Phänome­nen all­ge­meinen, also poli­tis­chen Inter­ess­es Stel­lung zu nehmen, sie zu hin­ter­fra­gen, zu kri­tisieren, sie »aufzuk­lären« – dem fühlt sich bis heute der am 11. Dezem­ber in Saint-Sym­phorien (Tours) geborene franzö­sis­che Philosoph, Jour­nal­ist und Schrift­steller verpflichtet. Allerd­ings macht er dabei vor den nor­ma­tiv­en Hin­ter­lassen­schaften der Epoche der Aufk­lärung nicht halt. Dies gilt im beson­deren Maße für seine dezi­dierte Ablehnung des Egal­i­taris­mus.

Anders als kon­ser­v­a­tive Autoren, führt de Benoist den Egal­i­taris­mus jedoch expliz­it auf das Chris­ten­tum zurück, das nur einen Gott ken­nt, vor dem alle Men­schen gle­ich sind. Über­haupt säku­lar­isierte sich die christliche Reli­gion in seinen Augen selb­st und ste­ht für ihn am Anfang all jen­er mod­er­nen Ver­w­er­fun­gen, die er in über 50 Büch­ern und Tausenden von Zeitschrifte­nar­tikeln immer wieder kri­tisierte: den Monothe­is­mus des kap­i­tal­is­tis­chen Mark­tes, der weltweit die ver­schieden­sten Kul­turen und Lebens­for­men zer­stört; den men­schen­rechtlichen Uni­ver­sal­is­mus, der das Poli­tis­che moral­isiert; die aufk­lärerische Idee des vol­lkom­men emanzip­ierten Sub­jek­ts, die sich im poli­tis­chen und ökonomis­chen Lib­er­al­is­mus äußert.

Die Mod­ernisierungser­schei­n­un­gen im Frankre­ich des 20. Jahrhun­derts dürften dabei de Benoists intellek­tuelle Entwick­lung zu einem radikalen Kri­tik­er der mod­er­nen Gesellschaft samt ihrer ide­ol­o­gis­chen und religiösen Grund­la­gen bestärkt haben: Seit dem Zweit­en Weltkrieg indus­tri­al­isierte sich das ein­stige Agrar­land ras­ant und ebnete dabei nicht nur die bäuer­liche Lebenswelt ein, son­dern auch die sozialen Milieus in den Städten und deren gewach­sene Kul­tur.

Der Krieg in Alge­rien sowie die anschließende Auf­gabe der ein­sti­gen franzö­sis­chen Kolonie durch de Gaulle – let­ztere resul­tierte aus dem mod­er­nen Effizien­z­denken – tat­en das übrige, daß sich de Benoist als Stu­dent zu Beginn der 1960er Jahre auf der Seite der anti­gaullis­tis­chen Recht­en in Frankre­ich als poli­tis­ch­er Jour­nal­ist engagierte. Als Reak­tion auf die gescheit­erte Algérie fran­caise-Kam­pagne der franzö­sis­chen Recht­en sowie ihre auch später erfol­g­los gebliebe­nen Ver­suche, poli­tis­chen Ein­fluß zu nehmen, grün­dete de Benoist mit anderen Intellek­tuellen 1968 in Paris den Groupe­ment de recherche et d’études pour la civil­i­sa­tion européenne (GRECE), den ersten recht­en Diskus­sion­sklub in Frankre­ich seit 1945. Dieser ver­sucht bis heute in seinen Zeitschriften wie ɉléments oder Nou­velle ȉcole, eine Alter­na­tive zur mod­er­nen Gesellschaft aufzuzeigen. Trotz sein­er namhaften Mit­glieder, zu denen in der Ver­gan­gen­heit u. a. auch der Nobel­preisträger Kon­rad Lorenz gehörte, sah sich der GRECE immer wieder Angrif­f­en wegen ver­meintlich »recht­sex­tremer Ten­den­zen« aus­ge­set­zt. Zu den spek­takulärsten zählt dabei die gegen den GRECE gerichtete Pressekam­pagne von 1979. In der öffentlichen Wahrnehmung beze­ich­net dies denn auch die Geburtsstunde jen­er ide­ol­o­gis­chen Strö­mung, als deren Pro­tag­o­nist Alain de Benoist bis heute gilt: Nou­velle Droite – Neue Rechte.

De Benoist läßt sich in der Tra­di­tion der franzö­sis­chen Enzyk­lopädis­ten verorten: Berühmt für den Hunger nach weitver­streuter Lek­türe, hat de Benoist Spezial­ge­bi­ete nie sys­tem­a­tisch ver­tieft, son­dern eher ein Werk der Syn­the­sen geschaf­fen. Sein Gedankenge­bäude ist vor allem inter­es­sant auf­grund sein­er Orig­i­nal­ität und Bril­lanz und weniger auf­grund sein­er Tief­gründigkeit und dok­trinären Kohärenz. »Ich«, so äußerte de Benoist ein­mal, »habe ver­sucht einen orig­inellen Gedanken zu kon­stru­ieren, aus­ge­hend von sehr unter­schiedlichen Autoren.«

Tat­säch­lich speist sich de Benoists Denken aus den ver­schieden­sten Quellen: Neben der antiu­til­i­taris­tis­chen Philoso­phie Friedrich Niet­zsches und der iden­titären Demokrati­ethe­o­rie von Jean-Jacques Rousseau, spie­len darin das Staats­denken von Carl Schmitt und die kul­tur­rel­a­tivis­tis­chen Über­legun­gen von Claude Lévi-Strauss eine entschei­dende Rolle; aber genau­so kom­men darin die reli­gion­swis­senschaftlichen The­o­rien von Georges Dumézil und Mircea Eli­ade zum Tra­gen oder Analy­sen von Psy­cholo­gen wie Hans Jür­gen Eysenck und Ver­hal­tens­forsch­ern wie Kon­rad Lorenz. Sein 1979 von der Académie fran­caise mit dem Grand Prix de l´€™Essai aus­geze­ich­netes Buch Vu de droite (dt. Aus rechter Sicht) beze­ich­net den Ver­such, die Eckpfeil­er ein­er dem Men­schen gemäßen, organ­is­chen Welt­sicht auf ratio­naler Basis zu skizzieren. Zen­traler Ref­eren­zpunkt de Benoists ist dabei die antike, vorchristliche Welt. Auf­grund ihrer Göt­ter­vielfalt, ihrer tri­funk­tionalen Gliederung und ihres zyk­lis­chen Geschichts­bildes, begreift er sie als zeit­los­es Ide­al und transponiert deren Struk­turen in seinen Schriften immer wieder in die Gegen­wart: So erscheint ihm etwa die antike Reich­sidee als Vor­bild dafür, mit plu­ral­is­tis­chen Geset­zes­for­men die Iden­tität der ver­schiede­nen Kul­turen zu stärken, zu erhal­ten und zu inte­gri­eren.

De Benoist, der gegen Ende der 1960er nicht müde wurde, die intellek­tuelle Armut der tra­di­tionellen Recht­en zu bekla­gen, und dazu ermunterte, ihr ein tragfähiges ide­ol­o­gis­ches Konzept zu geben sieht die Unter­schei­dung zwis­chen poli­tis­ch­er Linken und Recht­en mit­tler­weile als über­holt an. Kaum ver­wun­der­lich, wid­met er sich heute ver­stärkt The­men, die bis­lang vor allem die intellek­tuelle Linke angin­gen: der Kon­sumkri­tik und der Ökolo­gie. Allerd­ings erhält er dabei nach wie vor seine ant­ie­gal­itäre Ori­en­tierung aufrecht.

De Benoist gilt nicht zulet­zt darum als umstrit­ten und als Solitär unter den poli­tis­chen Denkern unser­er Zeit. Beze­ich­nen­der­weise sagte der amerikanis­che Philosoph Thomas Mol­nar ein­mal über ihn: »Alain de Benoist hat Proben eines bemerkenswerten intellek­tuellen Mutes abgelegt, ich würde sagen der Zivil­courage angesichts der Haie des Ein­heits­denkens.«

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Zitat:

Lib­er­al­is­mus und Marx­is­mus sind am Ende. Die absolute Unab­hängigkeit des Sub­jek­ts, der Glaube an die All­macht der Ver­nun­ft, der Mythos der Entwick­lung – all das sieht sich heute radikal in Frage gestellt. Die Zeit ist reif für eine sys­tem­a­tis­che und par­al­lele Kri­tik von Marx­is­mus und Lib­er­al­is­mus, als zweier rival­isieren­den Ide­olo­gien des gle­ichen ratio­nal­is­tis­chen und egal­itären Denkens.

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Schriften:

  • Die entschei­den­den Jahre. Zur Erken­nung des Haupt­fein­des, Tübin­gen 1982
  • Hei­de sein zu einem neuen Anfang. Eine europäis­che Glauben­salter­na­tive, Tübin­gen 1982
  • Aus rechter Sicht, 2 Bde., Tübin­gen 1983/84
  • Kul­tur­rev­o­lu­tion von rechts. Gram­sci und die Nou­velle Droite, Krefeld 1985
  • Demokratie. Das Prob­lem, Tübin­gen 1986
  • Auf­s­tand der Kul­turen. Europäis­ches Man­i­fest für das 21. Jahrhun­dert, Berlin 1999
  • Wir und die anderen, Berlin 2008
  • Abschied vom Wach­s­tum. Für eine Kul­tur des Maßhal­tens, Berlin 2009

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Lit­er­atur:

  • Michael Böhm: Alain de Benoist – Denker der Nou­velle Droite, Schnell­ro­da 2008
  • Loren­zo Pap­i­ni: Radi­ci del pen­siero. La rif­les­sione polit­i­ca di Alain de Benoist, Pisa 1995