Die Verfassung der Freiheit — Friedrich von Hayek, 1971

Daß utopis­ches Denken kein Monopol der Sozial­is­ten sein muß, zeigt dieser »Klas­sik­er« des Lib­er­al­is­mus aus dem Jahre 1960. Er ent­stand in Hayeks Chica­go­er Jahren und war als pos­i­tive Fort­set­zung des über­wiegend kri­tis­chen Weges zur Knechtschaft (1944) gedacht, eines Best­sellers bis zum heuti­gen Tag. Die Ver­fas­sung der Frei­heit hat­te nicht die gle­iche erup­tive Wirkung wie der Weg, ist weniger bekan­nt, übt aber eine anhal­tende Wirkung vor allem auf engere Fre­unde lib­eralen Denkens aus. Bekan­nt ist der Ein­fluß dieses Buch­es auf die Reformerin Mar­gret Thatch­er, die es mit dem Aus­ruf »Das ist es, woran wir glauben!« ein­mal ihren mid­dle-way Kabi­nettskol­le­gen auf den Tisch gek­nallt haben soll.

Die Ruhe und Fein­heit des Stils, die Syn­these aus Philoso­phie, Jurispru­denz und Wirtschaftswis­senschaft hat Hayek bis heute kaum jemand nachgemacht. Hayek schreibt wie ein Aris­tokrat und Gen­tle­man (wie auch sein zynis­ch­er Gegen­spiel­er Keynes). Sein Buch wollte die »Neu­for­mulierung des klas­sis­chen Lib­er­al­is­mus in der Zeit seines Nieder­ganges« sein. Mit Akri­bie unter­schei­det er anfangs seine lei­t­en­den Begriffe, namentlich den Begriff der »Frei­heit «, den er streng vom sozial­is­tis­chen Begriff ein­er »Frei­heit von Not« abgren­zt. Man könne hungern, aber doch »frei« sein; Frei­heit heißt eben nicht, Macht über die Umstände zu haben, oder ver­sorgt zu sein, son­dern nur, daß man nicht von anderen Men­schen willkür­lich herumkom­mandiert wer­den darf.

Hayek läßt uns ver­ste­hen, wie eine an Regeln (Geset­ze, Moral, Sit­ten) gebun­dene Frei­heit spon­tan eine Ord­nung kreiert, die das immer nur indi­vidu­ell vorhan­dene, nonzen­trale Wis­sen nutzte und so den großen Wohl­stand her­beiführte, der unser Zeital­ter kennze­ich­net. In ein­drucksvollem his­torischem Rück­blick schildert er, was einzelne Völk­er – die Griechen, Römer, Amerikan­er und Deutschen – mit ihren Ide­alen von »Isonomie«, »rule of law« oder »Rechtsstaat« zu ein­er »Ver­fas­sung der Frei­heit« beige­tra­gen haben. Er beschreibt den Ver­fall dieses Rechts unter dem Ein­fluß von Recht­spos­i­tivis­mus und Sozial­is­mus. Wenn auch der radikale Sozial­is­mus nur vorüberge­hend tri­um­phierte, hat er nach Hayek doch im heuti­gen Wohlfahrtsstaat mit san­fteren Meth­o­d­en seinen legit­i­men Nach­fol­ger gefun­den, vor allem über die geistige Brücke der soge­nan­nten »sozialen Gerechtigkeit«, die Hayek auch in diesem Buch auseinan­dern­immt.

Während die Teile I und II dieses Buch­es die geisti­gen Grund­la­gen eines erneuerten Lib­er­al­is­mus brin­gen, fol­gt im drit­ten Teil die Anwen­dung der Grund­sätze auf den mod­er­nen Wohlfahrtsstaat. Manch­es, was uns heute bewegt, ver­mis­sen wir, aber in seinen Grundzü­gen ist es aktuell. So analysiert er die destruk­tive Schlüs­sel­stel­lung der Gew­erkschaften in der mod­er­nen Gesellschaft (die anderen Ver­bände wer­den kaum behan­delt). Er zeigt, daß die soziale Sicher­heit vor allem der Umverteilung dient und kann sich mit ihr nur so weit anfre­un­den, als er einen Ver­sicherungszwang für ein Min­i­mum, freilich über den Markt, akzep­tiert. Er set­zt sich für ein staatlich garantiertes, sozialkul­turelles Einkom­mensmin­i­mum ein, freilich mit Bedürftigkeit­sprü­fung.

Die Steuer­pro­gres­sion wird ver­wor­fen, Hayek zeigt sich als Anhänger ein­er Pro­por­tion­al­s­teuer. Zurück­hal­tender als später greift er das Geld­monopol des Staates an und warnt vor den Wirkun­gen ein­er Infla­tion. Staatliche Bil­dungsmono­pole lehnt er ab, ist aber staatlichen Bil­dungsange­boten grund­sät­zlich nicht abgeneigt. Wohn­we­sen und Stadt­pla­nung unter­liegen sein­er einge­hen­den Analyse und Kri­tik, und beson­ders wen­det er sich gegen die sub­ven­tion­ierende Land­wirtschaft­spoli­tik. Man sieht: im ganzen ein eher »gemäßigtes« Pro­gramm.

Hayek schließt mit einem Nach­wort, in dem er sich von kon­ser­v­a­tiv­en Posi­tio­nen dis­tanziert. Er kön­nte nach allem zwar sel­ber ein »Wertkon­ser­v­a­tiv­er« genan­nt wer­den, kri­tisiert aber einen prinzip­i­en­losen »Struk­turkon­ser­vatismus«, der sich durch eine Vor­liebe für den Staat und man­gel­ndes Ver­trauen in freie Entwick­lun­gen charak­ter­isiert. Er sucht nach einem neuen Namen für den ver­wasch­enen Aus­druck »Lib­er­al­is­mus«, der im angel­säch­sis­chen Bere­ich seine ursprüngliche Bedeu­tung ver­loren hat. »Was ich suche ist ein Wort, das die Partei des Lebendi­gen beze­ich­net, die Partei, die für freies Wach­s­tum und spon­tane Entwick­lung ein­tritt.« Den Aus­druck »lib­ertär« sieht er als mögliche Alter­na­tive, ver­wirft ihn aber wegen sein­er Unschön­heit.

Wozu wir heute Hayeks Stimme gern hören wür­den, wäre das The­ma europäis­che Inte­gra­tion: Er wäre sich­er Vertreter eines wet­tbe­werb­smäßig aufgestell­ten Europas, nicht der »Har­mon­isierung« und Umverteilung, und auch Geg­n­er des »Euro«, denn er ver­wirft das staatliche Geld­monopol. Hayek dürfte auch den mod­er­nen »Beläs­ti­gungsstaat«, der sich als Ver­brauch­er­schützer und wohlwol­len­der Erzieher mask­iert, ablehnen – diese his­torisch bed­ingten Lück­en ändern nichts am großen Wert dieses Buch­es für das Ver­ständ­nis ein­er Ord­nung, die auf Basis ein­er geregel­ten Frei­heit spon­tan entste­ht und die heute die Grund­lage nicht nur unseres Wohl­standes, son­dern selb­st unseres ein­fachen Über­lebens ist.

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Zitat:

Ich habe manch­mal das Gefühl, daß die her­vorstechend­ste Eigen­schaft, die den Lib­er­al­is­mus eben­so vom Kon­ser­v­a­tivis­mus wie vom Sozial­is­mus tren­nt, die ist, daß moralis­che Anschau­un­gen in Din­gen des Ver­hal­tens, das nicht unmit­tel­bar in den geschützten Bere­ich ander­er Per­so­n­en ein­greift, Zwang nicht recht­fer­ti­gen.

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Aus­gabe:

  • 5. Auflage, Tübin­gen: Mohr Siebeck 2005

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Lit­er­atur:

  • Hans Jörg Hen­necke: Friedrich August von Hayek. Die Tra­di­tion der Frei­heit, Bonn 2000