Feind

Feind geht seinem sprach­lichen Ursprung nach wohl auf ein altes präsen­tis­ches Par­tizip zurück, das »has­send« bedeutet; umgekehrt kommt Fre­und von »liebend«. Die Ety­molo­gie gibt weit­er Auf­schluß darüber, daß im Ger­man­is­chen als Fre­unde anfangs nur Sip­pen- und das heißt Kampfge­fährten beze­ich­net wur­den, und Wil­helm Grön­bech machte plau­si­bel, daß ein Zusam­men­hang zwis­chen den Worten »Fre­und«, »Frieden« und »frei« bestand: Frieden hat­te man durch und mit seinen Fre­un­den, und diese Gemein­schaft bewahrte auch die Frei­heit des einzel­nen. Die Ähn­lichkeit mit dem lateinis­chen ami­cus für Fre­und, das eben­falls auf das Lieben ver­weist, und hostis, das gle­icher­maßen für den Feind und den Frem­den ste­ht, ist offen­sichtlich.

Während die Auf­fas­sung von Fre­und­schaft durch das Chris­ten­tum eine bedeut­same Erweiterung erfuhr, insofern nun alle ein­be­zo­gen wer­den kon­nten, mit denen ein Gefühl ver­band, blieb der Sinn von Feind­schaft sta­tisch. Das gilt trotz der evan­ge­lis­chen Forderung nach Fein­desliebe, da sie die Feind­schaft keineswegs aufhebt, son­dern fordert, sich auch dem Feind als einem Geschöpf Gottes zuzuwen­den; unver­söhn­liche Feind­schaft gilt nach wie vor dem Satan als »alt­bösem Feind« (Mar­tin Luther). Immer­hin hat das Chris­ten­tum die exis­ten­tielle Bedeu­tung der Feind­schaft rel­a­tiviert und durch seinen Uni­ver­sal­is­mus bewirkt, daß die bis dahin als »natür­lich« emp­fun­dene Feind­schaft zwis­chen eigen­er und Fremd­gruppe prinzip­iell in Frage gestellt wurde.

Diese »natür­liche Nei­gung« (Kon­rad Lorenz) zur Feindbes­tim­mung hat sehr tiefe, in die Biolo­gie des Men­schen zurück­re­ichende Wurzeln. So erk­lärt sich auch, daß unsere Spezies nicht nur Tiere als Feind wahrn­immt, wenn sie eine Konkur­renz oder Bedro­hung darstellen, son­dern außer­dem durch kul­turelle Unter­schei­dung – Tra­cht, Sprache, Sitte – »Pseu­dospezies« (Erik H. Erik­son) bildet, die sich gegen­seit­ig als fremd und feindlich betra­cht­en.

Damit ist Entschei­den­des über die poli­tis­che Bedeu­tung des Feind­be­griffs gesagt, insofern jede poli­tis­che Gruppe sich auch über die Bes­tim­mung von Feind definiert. Es blieb den human­itären Ide­olo­gien über­lassen, die seit dem 18. Jahrhun­dert einen nach­halti­gen Ein­fluß auf das europäis­che Denken gewan­nen, diesen Sachver­halt zu bestre­it­en und zu behaupten, daß es dur­chaus einen inner­weltlichen Zus­tand geben könne, in dem alle Feind­schaft ende. Diese Idee ein­er umfassenden Brüder­lichkeit verbindet sich mit dem Pos­tu­lat, daß in Zukun­ft eine Men­schenge­mein­schaft entste­he, die keinen auss­chließe. Allerd­ings haben alle Umset­zungsver­suche des Konzepts gezeigt, daß es in der Prax­is zu ein­er radikalisierten Feindbes­tim­mung neigt, das heißt: Alle etwa wider­streben­den Ele­mente wer­den mit Gewalt über­zo­gen, die entwed­er zu deren totaler Ver­nich­tung oder erzwun­gener Einord­nung führen soll.

Vom jakobinis­chen »Die rev­o­lu­tionäre Regierung schuldet ihren Fein­den nichts als den Tod« bis zur Behaup­tung Franklin D. Roo­sevelts, der Abwurf von Atom­bomben sei gerecht­fer­tigt, um die Men­schheits­feinde zu ver­nicht­en und die »Eine Welt« zu erricht­en, gibt es insofern eine ger­ade Lin­ie. Dabei erweist sich erneut die Richtigkeit der para­dox­en Wahrnehmung, daß ein Feind um so abscheulich­er wirkt, je ähn­lich­er er mir ist. Die Erfahrun­gen mit der furcht­baren Kon­se­quenz von Feind­ver­nich­tun­gen in Bürg­erkriegen seit der Antike bestäti­gen sich auch auf der Ebene des »Welt­bürg­erkriegs«, in dem Ide­olo­gien gegeneinan­der antreten, die immer in Anspruch nehmen, namens der Men­schheit zu agieren, wom­it alle Feinde zu Fein­den der Men­schheit, eigentlich zu »Un-« oder »Unter­men­schen«, wer­den.

Deren Verknüp­fung mit einem paz­i­fistis­chen Pathos und deren massen­hafte Wirk­samkeit seit Beginn des 20. Jahrhun­derts hat es prob­lema­tisch gemacht, über­haupt die Wahrheit auszus­prechen, daß das Poli­tis­che von ein­er con­di­tion antag­o­niste (Georges Sorel) geprägt ist, oder, wie es Carl Schmitt klas­sisch for­muliert hat: »Die spez­i­fisch poli­tis­che Unter­schei­dung, auf welche sich die poli­tis­chen Hand­lun­gen und Motive zurück­führen lassen, ist die Unter­schei­dung von Fre­und und Feind« Schmitt betonte aus­drück­lich, daß der Feind nicht moralisch böse, nicht ästhetisch häßlich oder ökonomisch schädlich sein müsse, es genüge, daß die Ent­ge­genset­zung als »exis­ten­tiell« begrif­f­en werde, das heißt jene Inten­sität erre­iche, die den Kampf unauswe­ich­lich mache.

Vor allem die Wirkun­gen der linken Kul­tur­rev­o­lu­tion seit den sechziger Jahren haben dazu geführt, daß diesem »Fre­und-Feind-Denken« vorge­wor­fen wird, es pro­duziere erst die Ver­hält­nisse, die es dann zu analysieren vorgebe. Dabei wird über­gan­gen, daß es Schmitt und sein­er Schule ger­ade um eine Begren­zung von Feind­schaft geht, insofern man die Exis­tenz des »gerecht­en Fein­des« – im äußeren Kon­flikt – grund­sät­zlich anerken­nt und vor dem Pos­tu­lat eines »absoluten Fein­des« – der nur the­ol­o­gisch aufz­u­fassen wäre – aus­drück­lich warnt. Die mas­siv­en Manip­u­la­tionsver­suche, die als Bekämp­fung von »Vorurteilen« oder »Feind­bildern« daherkom­men, dienen im Kern nur dem Zweck, »Feind­fähigkeit« grund­sät­zlich zu zer­stören. Erst ganz allmäh­lich, vor allem unter dem Ein­druck der islamis­chen Bedro­hung, wird im West­en wieder klar­er wahrgenom­men, daß bei einem Erfolg dieser Art von Umerziehung auch die Fähigkeit zur Selb­st­be­haup­tung ver­lorengin­ge.

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Zitat:

Nicht anders ver­hal­ten wir uns gegen den inneren Feind, auch da haben wir die Feind­schaft vergeistigt, auch da haben wir ihren Wert begrif­f­en. Man ist frucht­bar nur um den Preis, an Gegen­sätzen reich zu sein; man bleibt nur jung unter der Voraus­set­zung, daß die Seele sich streckt, nicht nach Frieden begehrt.
Friedrich Niet­zsche

Die Deutschen kon­nten bish­er im all­ge­meinen nur Ich und Nicht-Ich, nicht aber Fre­und und Feind unter­schei­den, was zur Folge hat­te, daß sie jedes Nicht-Ich mit dem Feind ver­wech­sel­ten und dann, als sie den Unsinn erkan­nten, glaubten, ihn mit einem »Kuß der ganzen Welt« wieder in Ord­nung gebracht zu haben.
Carl Schmitt

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Lit­er­atur: