Santayana, George, Philosoph, 1863–1952

Jorge Augustín Nicolás Ruiz de San­tayana wurde am 16. Dezem­ber 1863 in Madrid geboren. San­tayana war ein Denker sui gener­is, der ver­schiedene Denkströ­mungen zusam­men­brachte, die man gemein­hin als inkom­pat­i­bel betra­chtet. Er war z.B. Mate­ri­al­ist und Athe­ist (Nat­u­ral­ist), schätzte aber die religiösen Tra­di­tio­nen des Katholizis­mus. San­tayana kam während seines Studi­ums in Berlin in Berührung mit dem Werk Schopen­hauers, über den er auch seine Dis­ser­ta­tion schreiben wollte. Dies wurde ihm jedoch von seinem Dok­tor­vater in den USA ver­wehrt. Die starken ästhetis­chen Inter­essen San­tayanas wur­den aber durch die Lek­türe Schopen­hauers gefördert – sein früh­estes Werk, das sich auch gegen Kant richtete, unter­nahm bere­its eine Vertei­di­gung des Sinns für Schön­heit (The Sense of Beau­ty, 1896).

Die akademis­che Kar­riere an der Har­vard Uni­ver­sität, wo u.a. T. S. Eliot und Robert Frost zu seinen Stu­den­ten gehörten, gab er 1912 auf und siedelte nach Europa über. Seit den Zwanziger Jahren lebte er nur noch in Ital­ien. Poli­tisch hat­te San­tayana, weil er Ord­nung über Chaos stellte, sit­u­a­tions­be­d­ingt dur­chaus eine generelle Sym­pa­thie für das innen­poli­tis­che Ord­nungskonzept des frühen ital­ienis­chen Faschis­mus (siehe dazu den wichti­gen Brief vom 8. Dezem­ber 1950 an Corliss Lam­ont). Er hielt aber Mus­soli­ni für einen schlecht­en Men­schen und dessen kriegerische Außen­poli­tik für fatal.

San­tayana wandte sich grund­sät­zlich gegen die poli­tis­chen Erschei­n­ungs­for­men der mod­er­nen massen­poli­tis­chen Sys­teme, wozu sein­er Mei­n­ung nach auch der Amerikanis­mus gehörte. Es erschien ihm dage­gen wichtig, aris­tokratis­che Ele­mente in der Gesellschaft zu bewahren, die für ihn mit der Ver­nun­ft in der Gesellschaft unbe­d­ingt vere­in­bar waren, wie er in The Life of Rea­son (1905–06) erk­lärte.

San­tayanas ambiva­lentes Ver­hält­nis zur Reli­gion läßt sich von sein­er Ästhetik her auf­schließen. Denn San­tayana denkt zuerst über die Kun­st nach, bevor er die Reli­gion aus ihrer Nähe zur Kun­st her genauer in den Blick nimmt. Dabei hat er zunächst ein starkes Gefühl für die Notwendigkeit ein­er „Apolo­gie der Kun­st”, die San­tayana durch den Beweis liefern möchte, daß „die Kun­st zum Leben der Ver­nun­ft gehört”. Diese Vertei­di­gung der Kun­st ist notwendig, weil die Kun­st aufs eng­ste mit etwas ver­bun­den ist, das man Verza­uberung nen­nen kann und eben deshalb auch gefährlich ist. Denn, so San­tayana, „Berauschtheit ist eine trau­rige Angele­gen­heit, zumin­d­est für einen Philosophen”. Es ist dem­nach für San­tayana eine philosophis­che Notwendigkeit, sich mit der Kun­st als ein­er poten­tiellen Rivalin der Philoso­phie auseinan­derzuset­zen.

San­tayanas ästhetis­che Präferen­zen dienen ihm als Aus­gangspunkt für eine Reflex­ion auf die „Ursachen und die Feinde des Schö­nen”, was wiederum zu der poli­tis­chen Frage führt, im Schutze welch­er Mächte das Schöne gedei­hen kann und unter dem Ein­fluß welch­er Kräfte es dahin­welkt. Pos­i­tiv wer­den jene Ein­flüsse gew­ertet, die die Ent­fal­tung von Möglichkeit­en fördern, während die neg­a­tiv­en Ein­flüsse feind­selige Umstände her­vor­brin­gen. Die Unter­schei­dung zwis­chen diesen bei­den For­men im poli­tis­chen Leben erweist sich als die zen­trale Auf­gabe der poli­tis­chen Philoso­phie im Sinne San­tayanas, die vor allem in seinem Werk Dom­i­na­tions and Pow­ers (1951) niedergelegt ist.

San­tayana ste­ht insofern in der Nach­folge Spin­ozas, als er die Geschicke der Men­schheit unter der Per­spek­tive der Ewigkeit, sub specie aeter­ni­tatis, betra­chtet. Er dachte dabei auch inten­siv über den Wan­del der poli­tis­chen Ereignis­geschichte und der poli­tis­chen Sys­teme nach, die er mit ein­er gewis­sen Dis­tanz beobachtete, was ihn deut­lich von den auf klare prak­tis­che Ziele aus­gerichteten mod­er­nen Philosophen unter­schied. Er lehnte deshalb auch entsch­ieden die Pro­jek­temacherei von mod­er­nen Propheten à la Ezra Pound ab. Pla­tonisch war San­tayanas Ein­sicht, daß eine uneingeschränk­te Ern­sthaftigkeit in men­schlichen Din­gen immer unange­bracht sei. Eine große lit­er­arische Darstel­lung sein­er Weltan­schau­ung jen­seits von Tragödie und Komödie bietet San­tayanas Bil­dungsro­man The Last Puri­tan (Der let­zte Puri­tan­er; 1936).

San­tayanas poli­tis­che Philoso­phie gehört in die skep­tisch-real­is­tis­che Tra­di­tion von Aris­tote­les über Mon­taigne, Locke und Hume bis zu Oakeshott, die sich um ein Ver­ständ­nis der Grund­la­gen ein­er frei­heitlichen Poli­tik bemüht­en. Auch wenn er Machi­avel­lis Ansatz ablehnte, anerkan­nte er dessen gen­uine Ein­sicht­en in die Welt der Poli­tik und lobte ihn dafür, daß er den Tat­sachen ins Auge sah und sie freimütig zum Aus­druck brachte. San­tayana teilte diese Sicht und sah selb­st sehr scharf­sichtig, welch­es Gefahren­po­ten­tial z.B. in jenen „sen­ti­men­tal­en Ban­diten” schlum­mert, die sich einem falsch ver­stande­nen Human­i­taris­mus ver­schreiben: “Er raubt und mordet nicht zu seinem eige­nen Nutzen, son­dern für die Größe seines Lan­des oder die Befreiung der Armen.”

San­tayana stand dem Lib­er­al­is­mus sehr kri­tisch gegenüber, da dieser sich weigerte, alles das zur Ken­nt­nis zu nehmen, was es über Poli­tik und Kul­tur zur Ken­nt­nis zu nehmen gebe. Die Lib­eralen erschienen nach San­tayana auf der Bild­fläche, wenn „eine Kul­tur ihre Kraft ver­aus­gabt hat und rasch absinkt.” Die Lib­eralen wür­den in ihrem Bestreben, die Kul­tur zu reformieren, unter ein­er spez­i­fis­chen Blind­heit lei­den, da sie die (nicht-lib­eralen) Grundbe­din­gun­gen dessen, was sie wertschätzten, näm­lich geistige und kün­st­lerische Errun­gen­schaften, nicht erfaßten.

San­tayana starb am 26. Sep­tem­ber 1952 in Rom.

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Zitat:

Sie [die Lib­eralen] erken­nen nicht, daß der Frieden, den sie fordern, durch die Diszi­plin und die Opfer gesichert wurde, die sie bekla­gen; daß der Reich­tum, den sie besitzen, ange­häuft wurde durch die Aneig­nung von Län­dern und die Durch­führung von Unternehmungen in jen­er hochmüi­gen Art und Weise, die sie ver­dammen; und daß die schö­nen Kün­ste und ver­fein­erten Luxu­s­güter, an denen sie sich erfreuen, her­vorge­hen aus dem Dienst an jenen For­men des Aber­glaubens, den sie lächer­lich machen, und an jenen Despo­tis­men, die sie ver­ab­scheuen.

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Schriften:

  • The Sense of Beau­ty, New York 1896
  • The Life of Rea­son, 2 Bde, Lon­don 1905-06
  • Scep­ti­cism and Ani­mal Faith, New York 1923
  • Der let­zte Puri­tan­er, München 1936
  • Die Spanne meines Lebens, Ham­burg 1950
  • Die Chris­tus-Idee in den Evan­gelien, München 1951
  • The Let­ters of George San­tayana, hrsg. von Daniel Corey, New York 1955
  • Dom­i­na­tions and Pow­ers. Reflec­tions on Lib­er­ty, Soci­ety and Gov­ern­ment, Clifton 1972
  • Inter­pre­ta­tions of Poet­ry and Reli­gion, Cam­bridge, Mass. 1989
  • The Essen­tial San­tayana. Select­ed Writ­ings, hrsg. von Mar­tin A. Cole­man, Bloom­ing­ton 2009

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Lit­er­atur:

  • Thomas L. Jef­fers: Appren­tice­ships. The Bil­dungsro­man from Goethe to San­tayana, 2005
  • Till Kinzel: The Tragedy and Com­e­dy of Polit­i­cal Life in the Thought of George San­tayana, in: Lim­bo 29 (2009)
  • John McCormick: George San­tayana. A Biog­ra­phy, New York 1987
  • Paul Arthur Schilpp (Hrsg.): The Phi­los­o­phy of George San­tayana, Evanston 1940
  • Irv­ing Singer: George San­tayana. Lit­er­ary Philoso­pher, New Haven 2000