Realismus

Real­is­mus ist ein Wort, das vor allem in der Philoso­phie so vielfältige Bedeu­tun­gen hat, daß es hier nur im geläu­fi­gen Sinn von “wirk­lichkeits­gerechte Anschau­ung” ver­standen wer­den soll. Gemeint ist damit eine Geis­te­shal­tung, die nicht nur darauf gerichtet ist, ein möglichst umfassendes und sach­lich­es Bild der Real­ität zu gewin­nen, son­dern außer­dem die begren­zten Erken­nt­nis­möglichkeit­en des Men­schen immer scharf im Blick behält.
 
Der Real­is­mus, so bes­timmt, läßt sich hin­re­ichend deut­lich unter­schei­den von Opti­mis­mus wie Pes­simis­mus, also ein­er Auf­fas­sung, die grund­sät­zlich das Gute annimmt und auf die Macht des Guten set­zt und der gegen­teili­gen, die grund­sät­zlich vom Übel aus­ge­ht und nur dem Übel etwas zutraut.
 
Zugegeben­er­maßen ste­ht der Real­is­mus dem Pes­simis­mus näher, da es ihm vor allem darum zu tun ist, dem “ruchlosen Opti­mis­mus” (Arthur Schopen­hauer) ent­ge­gen­zutreten, die Wirk­lichkeit nicht zu beschöni­gen, son­dern auch ihre prob­lema­tis­chen Seit­en ein­er Analyse zu unter­w­er­fen und festzuhal­ten, daß viele dieser prob­lema­tis­chen Seit­en nicht zu bere­ini­gen sind, oder nur ein Neg­a­tivum durch ein anderes erset­zt wer­den kann. Der Real­is­mus mei­det allerd­ings den res­ig­na­tiv­en Zug, der dem Pes­simis­mus eignet, mehr nur den utopis­chen des Opti­mis­mus.
 
Die Ursachen für die Imper­fek­tibil­ität der Welt wer­den von seit­en des Real­is­mus unter­schiedlich gedeutet. Klas­sisch ist die These von der “gefal­l­enen” Welt und dem sündi­gen Charak­ter des Men­schen, außer­halb der christlichen Tra­di­tion hat es aber auch genü­gend antike und mod­erne Argu­men­ta­tion­slin­ien gegeben, die von ein­er Struk­tur der Wirk­lichkeit aus­ge­hen lassen, die keine Ver­vol­lkomm­nung erlaubt.
 
In der Poli­tik bedeutet Real­is­mus vor allem, den Fak­tor Macht anzuerken­nen, mit den Worten Lud­wig August von Rochaus, des Erfind­ers des Begriffs “Realpoli­tik”: “daß das Gesetz der Stärke über das Staat­sleben eine ähn­liche Herrschaft ausübt wie das Gesetz der Schwere über die Kör­per­welt”. Diese Ein­sicht wird zwar immer wieder ver­schüt­tet, hat aber zu ein­er ein­drucksvollen Tra­di­tion des real­is­tis­chen poli­tis­chen Denkens geführt, die von Thuky­dides über Machi­avel­li, Hobbes, Friedrich den Großen, Napoleon, Bis­mar­ck bis zu Carl Schmitt und Arnold Gehlen reicht.
 
Wenn man diese Män­ner der Recht­en zuschlägt, hängt das damit zusam­men, daß skep­tis­che Anthro­polo­gie, Geschichts­be­wußt­sein und Hochschätzung der Erfahrung eher für das “Prinzip Wirk­lichkeit” ein­nehmen, während die Linke sich an einem “Prinzip Hoff­nung” ori­en­tiert, das von all dem nichts wis­sen will.
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Zitate:
Der Geist der Linken ist genaugenom­men kein kri­tis­ch­er Geist, son­dern der Geist der Nega­tion der konkreten Real­ität.
 
Jed­er Tory ist ein Real­ist, er weiß, daß es im Him­mel und auf Erden gewaltige Kräfte gibt, die der Men­sch mit seinem Ver­stand wed­er ergrün­den noch begreifen kann. Wir protestieren zu Unrecht, wenn man uns sagt, wir trauen der men­schlichen Ver­nun­ft nicht; wir tun es nicht, und wir dür­fen es nicht tun. Die men­schliche Ver­nun­ft hat auf Gol­gatha das Kreuz aufgerichtet; sie hat den Schier­lings­bech­er kre­den­zt und ist in Notre-Dame zur Göt­tin erhoben wor­den.
Kei­th Feil­ing
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Lit­er­atur:
  • Nic­colò Machi­avel­li: Der Fürst [1532], zulet­zt Frank­furt a.M. 2007
  • Friedrich Mei­necke: Die Idee der Staat­srä­son in der neueren Geschichte [1924], Werke, Bd 1, zulet­zt München 1976
  • Ger­hard Rit­ter: Vom sit­tlichen Prob­lem der Macht [1946], zulet­zt Bern 1961
  • August Lud­wig von Rochau: Grund­sätze der Realpoli­tik [1853/1863], zulet­zt Frank­furt a.M. 1972