Maurer, Reinhart, Philosoph, geboren 1935

Wie Robert Spae­mann, Her­mann Lübbe und Odo Mar­quart stammt der Philosoph Rein­hart Mau­r­er, geboren am 26. März 1935 in Xan­ten, aus der Schule von Joachim Rit­ter in Mün­ster. Bei ihm pro­movierte Mau­r­er 1964 mit ein­er Arbeit zur Geschichte und Geschicht­sphiloso­phie in Hegels Phänom­e­nolo­gie des Geistes. Anschließend habil­i­tierte er sich bei Robert Spae­mann in Stuttgart. Die Habil­i­ta­tion läßt schon Mau­r­ers späteres Haupt­in­ter­esse an prak­tis­ch­er Philoso­phie erken­nen. Seine Über­legun­gen zur poli­tu­is­chen Ethik, die er anhand von Pla­tons Staat durch­führt, sind ganz aktueller Natur und von der Frage nach dem besten Gemein­we­sen getra­gen. Pla­ton ist für Mau­r­er ein „sub­ver­siv­er Autor“, mit dessen Hil­fe sich eine Alter­na­tive zur gegen­wär­ti­gen Demokratie her­ausrabeit­en lasse. Konkret denkt Mau­r­er dabei an Pla­tons Bil­dungsaris­tokratie. Bere­its in der Ein­leitung macht er deut­lich, daß es einen Unter­schied zwis­chen Pla­tons Demokratie und der mod­er­nen Demokratie gibt, der in dem Grad der Naturbe­herrschung liege, der dazu führe, daß alle immer mehr haben wollen, weil sie es in der Demokratie dür­fen („gemein­samer demokratis­ch­er Drang“). Pla­ton sei ein wesentlich poli­tis­ch­er Philosoph und seine Ablehnung der Demokratie habe gute Gründe. Mau­r­er nimmt ins­beson­dere Pla­tons Gle­ich­heits­be­griff zum Aus­gangspunkt sein­er Kri­tik am Lib­er­al­is­mus und dessen Frei­heits­be­griff: „Die lib­er­al­is­tis­che Frei­heit ist wie ein Blankoscheck, von dem sich beim Ver­such der Ein­lö­sung sogle­ich her­ausstellt, daß er nur bis zu einem gerin­gen Betrag gedeckt ist.“

Ähn­lich wie sein Lehrer Rit­ter hat Mau­r­er keine weit­eren Mono­gra­phien, wenn man ein­mal von sein­er Haber­maskri­tik (1977) absieht, veröf­fentlicht, son­dern zahlre­iche Essays und Auf­satzsamm­lun­gen. Seine Kri­tik an Haber­mas ist fun­da­men­tal und hat bis heute nichts von ihrer Aktu­al­ität ver­loren. Damals war noch nicht abzuse­hen, daß Haber­mas ein­mal der bun­desre­pub­likanis­che Philosoph über­haupt sein würde. Mau­r­er wirft ihm die Aufhe­bung der Philoso­phie in der Kri­tik vor, ohne daß sich daraus ein neuer Ansatz park­tis­ch­er Philoso­phie ergebe. Vielmehr würde Haber­mas die eigene Rat­losigkeit ver­ab­so­lu­tieren, um nicht wieder in die faschis­tis­che Falle zu tap­pen: „Sie ist die Nachkriegsphiloso­phie der Rat­losigkeit und des großen Palavers, die, wie sein­erzeit die sophis­tis­che The­o­rie, in ein­er Krisen­si­t­u­a­tion den Anspruch norm­prak­tis­ch­er Ori­en­tierung erhebt, ohne ihn ein­lösen zu kön­nen.“

Seit den siebziger Jahren stellte Mau­r­er seine Bemühun­gen um die Reha­bil­i­ta­tion der prak­tis­chen Philoso­phie vor allem in den Dienst des Ver­hält­niss­es von Men­sch und Natur, das in der ökol­o­gis­chen Frage aktuell gewor­den war. Seine an Pla­ton angelehnte Wider­legung des Gle­ich­heits­denkens, die Ent­larvung Haber­mas‘ als Schar­la­tan und die selb­staufer­legten Denkver­bote der Deutschen set­zten ihn automa­tisch in Oppo­si­tion zum herrschen­den „Diskurs“. Hinzu kam, daß Mau­r­er den Selb­st­wert men­schlich­er Emanzi­pa­tion bestre­it­et und in der zunehmenden “Bio­masse Men­sch“ die Haup­tur­sache der ökol­o­gis­chen Prob­leme sieht. Mau­r­er beteiligte sich mit einem Auf­satz an dem von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht her­aus­gegeben Sam­mel­band Die selb­st­be­wußte Nation, in dem er die „läh­mende Verge­gen­wär­ti­gung“ der „brauen Ver­gan­gen­heit“ bemän­gelte. In späteren Tex­ten hat er die „poli­tis­che The­olo­gie des Holo­caust“ unter­sucht, und dessen „Einzi­gar­tigkeit“ als „neg­a­tiv­en Ursprungsmythos ein­er besseren Zeit“ aus­gemacht. Damit werde von aktuellen Prob­le­men abge­lenkt und die Suche nach neuen Lösun­gen ver­hin­dert. Der Uni­ver­sität­sphiloso­phie hat Mau­r­er ihren Unwillen zu denken und das Kreisen um sich selb­st vorge­hal­ten.

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Zitat:

Man mag sie Selb­stre­flex­ion oder philosophis­che Ver­nun­ft oder gesun­den Men­schen­ver­stand nen­nen, ihr Prob­lem ist immer, Gle­ich­heit und Ver­schieden­heit abzuschätzen und so zu ein­er Ran­gord­nung von Sinn und Ent­fal­tungs­berech­ti­gung zu kom­men.

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Schriften:

  • Hegel und das Ende der Geschichte. Inter­pre­ta­tio­nen zur „Phänom­e­nolo­gie des Geistes“, Stuttgart e.a. 1965
  • Pla­tons ‚Staat‘ und die Demokratie. His­torisch-Sys­tem­a­tis­che Über­legun­gen zur poli­tis­chen Ethik, Berlin 1970
  • Rev­o­lu­tion und „Kehre“. Stu­di­en zum Prob­lem gesellschaftlich­er Naturbe­herrschung, 1975
  • Jür­gen Haber­mas‘ Aufhe­bung der Philoso­phie, Tübin­gen 1977 (Son­der­heft Philosophis­che Rund­schau)
  • Wie wirk­lich ist die ökol­o­gis­che Krise?, in: Armin Mohler (Hrsg.): Wirk­lichkeit als Tabu. Anmerkun­gen zur Lage, München 1986
  • Schuld und Wohl­stand. Über die west­lich-deutsche Gen­er­allinie, in: Ulrich Schacht/ Heimo Schwilk (Hrsg.): Die selb­st­be­wußte Nation, Berlin 1994
  • Das Absolute in der Poli­tik. Zur poli­tis­chen The­olo­gie des Holo­caust, in: Nach Gott fra­gen. Son­der­heft Merkur, 1999
  • Aus­nahm­slose Gle­ich­heit. Über­legun­gen im Anschluss an Gómez Dávi­la, in: Die Aus­nahme denken. FS für Michael Kodalle, Bd 2 Würzburg 2003.