Tannenberg — Ostpreußen

Fünf Jahrhun­derte liegen zwis­chen jenen bei­den Schlacht­en, die aus der pol­nis­chli­tauis­chen, deutschen und rus­sis­chen Erin­nerungskul­tur nicht wegzu­denken sind. Die erste wurde 1410 geschla­gen. Im gesamten 14. Jahrhun­dert hat­te der Deutsche Orden seine Auf­gabe im Kampf gegen die hei­d­nis­chen Litauer gese­hen, eben­so lange schwelte der Kon­flikt mit Polen. Doch erst nach­dem bei­de Län­der sich 1386 ver­ban­den, erwuchs dem Ordensstaat ein ern­stzunehmender Geg­n­er, und so standen sich schließlich in der Som­mer­hitze des 15. Juli das Heer des Deutschen Ordens und die zahlen­mäßig weit über­legene pol­nisch-litauis­che Stre­it­macht nahe den Dör­fern Tan­nen­berg und Grün­felde gegenüber. Der Hochmeis­ter und die Elite der Orden­srit­ter fie­len im Kampf. Gegen Abend hat­ten der pol­nis­che König und der litauis­che Großfürst einen glänzen­den Sieg errun­gen.

Allein, es war nur eine Schlacht gewon­nen, der Krieg jedoch nicht. Die pol­nis­che Belagerung der Marien­burg mußte auf­grund der Vertei­di­gung unter Leitung Hein­rich von Plauens aufgegeben wer­den, und zügig gelang dem Orden die Rücker­oberung seines Lan­des. Der 1411 geschlossene Friede zeigte die tat­säch­lichen Machtver­hält­nisse: Der Orden kon­nte sein Staats­ge­bi­et wahren. Erst die inner­staatlichen Kon­flik­te führten zum Machtver­lust, der Nieder­lage im Dreizehn­jähri­gen Krieg (1454–1466) sowie daraus fol­gend 1525 zur Umwand­lung des Ordensstaates in ein Her­zog­tum unter pol­nis­ch­er Lehn­shoheit – über hun­dert Jahre nach der Tan­nen­bergschlacht.

Die zweite Schlacht wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 geschla­gen. Ruß­land hat­te schneller mobil gemacht und rück­te mit zwei Armeen über die Gren­zen Ost­preußens. Ein Großteil der Bevölkerung floh. Zwei Drit­tel der Prov­inz waren bere­its vom Feind beset­zt, als Gen­er­al Paul von Hin­den­burg und sein Stab­schef Erich Luden­dorff hier den Befehl über­nah­men. In ein­er Umfas­sungss­chlacht (26.–30. 8.) gelang ein glänzen­der Sieg über die im Süd­west­en ste­hende 2. rus­sis­che Armee. Mit Hin­weis auf den nahen Schlach­tort von 1410 gab man ihr densel­ben Namen. Die fol­gen­den Kämpfe an den Masurischen Seen (6.–14. 9.) gegen die 1. rus­sis­che Armee bracht­en die Befreiung Ost­preußens. Aber das Land war ver­wüstet, Hun­derte Orte lagen in  Trüm­mern, und wie der ersten Tan­nen­bergschlacht fol­gte auch der zweit­en kein endgültiger Sieg, son­dern die Nieder­lage des Deutschen Reich­es 1918.

Dem durch »Ver­sailles« vom Reich abge­tren­nten Ost­preußen schenk­te die Weimar­er Repub­lik das vielle­icht kom­plex­este Kunst­werk der europäis­chen Geden­k­land­schaft: das 1924–27 errichtete Tan­nen­bergdenkmal (seit 1935 Reich­sehren­mal). Nur in Zeit­en, da es zum Vergessen, ja zur Ver­höh­nung der eige­nen Gefal­l­enen (žžHalbe, Laboe, Seelow­er Höhen) sowie zum Abriß der ihnen gewid­me­ten Denkmäler kommt, kann ver­wirren, daß die kün­st­lerische Auseinan­der­set­zung mit dem Krieg zu den faszinierend­sten The­men der 1920er Jahre gehörte. Von den kla­gen­den Plas­tiken Bar­lachs, den Helden­denkmälern Kolbes, den sich still in die Land­schaft ein­fü­gen­den Kriegerhainen reichte das Gedenken – bis zu jen­em in der weit­en Ebene liegen­den, mächti­gen rot-back­stein­er­nen Achteck bei Tan­nen­berg.

Hohe Mauern umgaben den Hof mit dem in der Mitte ruhen­den »unbekan­nten Sol­dat­en«, acht kantige Türme dien­ten als Erin­nerungsräume und als Muse­um. Die wehrhafte Form war Zeichen für die bedrängte Lage der Prov­inz. Darüber hin­aus barg seine expres­sive Schlichtheit freie Möglichkeit­en der Weit­er­for­mung, nicht zulet­zt 1934/35, als Reich­spräsi­dent Paul von Hin­den­burg hier seine ver­meintlich let­zte Ruhe fand. Bei Kriegsende 1945 teils gesprengt, schien es nur fol­gerichtig, daß Polen nach der Aneig­nung Ost­preußens dieses Denkmal voll­ständig abriß und mit einem neuen seines Sieges von 1410 gedenkt, eines Sieges, dessen Mythen durch sach­liche Forschun­gen der let­zten Jahrzehnte verblassen.

Warum bleibt dieser Ort von Bedeu­tung? Von der Nieder­lage 1410 bleibt das bewe­gende Bild der im Kampf fal­l­en­den Ordens­führung, der adli­gen Elite eines der her­aus­ra­gend­sten  mit­te­lal­ter­lichen Staats­ge­bilde; es bleibt die tapfere Hal­tung eines einzel­nen Mannes, dem im Moment des Unter­gangs nochmals die Wende gelang. Dem deutschen Sieg von 1914 gegen eine Über­ma­cht und der tak­tis­chen Leis­tung Erich Luden­dorffs und Max Hoff­manns bleibt ein sicher­er Platz in jed­er Kriegs­geschichte, während die rus­sis­che Nieder­lage durch Solsch­enizyns August
vierzehn in die Weltlit­er­atur eing­ing.

Doch etwas anderes weist über Nieder­lage und Sieg hin­aus: ein schöpferisch­er Wieder­auf­bauwille, der bei­den fol­gte. Denn nicht allein die orden­szeitliche Architek­tur auch noch des 15. Jahrhun­derts gibt bis heute der Land­schaft ihre eigene Gestalt, son­dern eben­so die schlichte Architek­tur des nach der Befreiung 1914 begonnenen Wieder­auf­baus. Sofort set­zten im Reich Hil­f­s­maß­nah­men für die notlei­dende Bevölkerung ein, und die bre­it disku­tierte Idee eines »Gesamtkunst­werks Ost­preußen« wurde durch die neugeschaf­fene Bau­ver­wal­tung zügig umge­set­zt. Aus dem Geist der Leben­sre­form-Bewe­gung, im Stil des »Heimatschutzes«, jen­er tra­di­tionellen Mod­erne, die an die For­men­sprache der Zeit »um 1800« und vorindus­triell heimis­chen Bau­tra­di­tio­nen anknüpfte, erhiel­ten die zer­störten Orte ein ein­heitlich­es und doch im Detail vielgestaltiges Gesicht.

Daß es in höch­ster Not gelang, sich dieser nicht allein sozialen und organ­isatorischen, son­dern auch kün­st­lerischen Auf­gabe anzunehmen, hing unmit­tel­bar mit dem frühen Sieg von Tan­nen­berg zusam­men. Bei ein­er erst späteren Rück­gewin­nung Ost­preußens wäre dieses anspruchsvolle Werk auf­grund der finanziellen und gesellschaftlichen Bedin­gun­gen nicht möglich gewe­sen. Der bis Kriegsende nahezu abgeschlossene Wieder­auf­bau ist die let­zte große Kul­turleis­tung des kaiser­lichen Deutschen Reich­es. Die damals geschaf­fe­nen Bilder ein­er har­monis­chen Kul­tur­land­schaft weisen vor­bild­haft in die Zukun­ft, für die sie mit Blick auf das heutige unein­heitlich-form­lose Bauen auf der »grü­nen Wiese« in Deutsch­land wie in Masuren zum Umdenken ermah­nen.

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Lit­er­atur:

  • Sven Ekdahl: Tannenberg/Grunwald – Ein poli­tis­ches Sym­bol in Deutsch­land und Polen, in: Udo Arnold (Hrsg.): Deutsch­er Orden 1190–1990, Lüneb­urg 1997, S. 241–302
  • Wern­er Par­avici­ni (Hrsg.): Tan­nen­berg – Grun­wald – Zal­giris 1410. Krieg und Frieden im späten Mit­te­lal­ter, Wies­baden 2012
  • Jan Salm: Ost­preußis­che Städte im Ersten Weltkrieg. Wieder­auf­bau und Neuerfind­ung, München 2012
  • Siegfried Scharfe (Hrsg.): Deutsch­land über Alles. Ehren­male des Weltkrieges, König­stein i. T./Leipzig 1938
  • Tan­nen­berg. Deutsches Schick­sal – deutsche Auf­gabe, hrsg. vom Kura­to­ri­um für das Reich­sehren­mal Tan­nen­berg, Berlin 1935