Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege — Hans-Jürgen Syberberg, 1990

Unter den Regis­seuren des »Neuen Deutschen Films« war Hans-Jür­gen Syber­berg stets eher ein Außen­seit­er gewe­sen. Diese Dis­tanz äußerte sich bald auch in poli­tis­ch­er Hin­sicht – schon in seinem Film Hitler, ein Film aus Deutsch­land (1977) polemisierte Syber­berg scharf gegen den links­do­minierten Kul­turbe­trieb sein­er Zeit. In dem gle­ich­nami­gen Buch zum Film (1978) beklagte er den Ver­lust des »schöpferischen Irra­tional­is­mus« der Deutschen, jenes »kranke Volk ohne Iden­tität «, das in einem »seel­isch enterbten und enteigneten« Land »ohne Heimat« lebt.

Pünk­tlich zur sich anbah­nen­den deutschen Ein­heit erschien 1990 der Band ”Vom Unglück und Glück der Kun­st in Deutsch­land nach dem let­zten Kriege”, eine Samm­lung ver­streuter Aufze­ich­nun­gen, die bere­its Monate vor dem Novem­ber 1989 begonnen wor­den waren. Schon die Bild­beiga­ben und Mot­ti sig­nal­isierten ein klares Beken­nt­nis zu preußis­chen Tra­di­tio­nen, etwa Zitate von Clause­witz und König Friedrich II., Zeich­nun­gen von Adolph Men­zel und ein Foto des zer­störten Berlin­er Stadtschloss­es, sekundiert von einem Satz von Ernst Jünger: »Wo Bilder fall­en, müssen sie durch Bilder erset­zt wer­den, son­st dro­ht Ver­lust.«

The­o­retisch von dem Kun­sthis­torik­er Hans Sedl­mayr und seinem Buch Ver­lust der Mitte bee­in­flußt, sah Syber­berg einen engen Zusam­men­hang zwis­chen dem Ver­fall des Tran­szen­den­zcharak­ters der Kun­st und der deutschen Selb­stauf­gabe und ‑demon­tage des Eige­nen nach 1945.

Dem Fall des poli­tis­chen Marx­is­mus in Osteu­ropa muß auch der Fall der kul­turellen und intellek­tuellen Linken im West­en fol­gen, den Ver­wal­tern der »Nachkriegs-« und »Siegeräs­thetik«, die den Weg geeb­net hät­ten für »mul­ti­kul­turelle Beliebigkeit«, für eine Kon­sum- und Weg­w­er­fkul­tur und eine mis­er­abilis­tis­che Kun­stauf­fas­sung: »Das auf­fäl­lig­ste Kri­teri­um der heuti­gen Kun­st ist die Bevorzu­gung des Kleinen, Niedri­gen, der Verkrüp­pelung, des Kranken, des Schmutzes vor dem Glanz…« Unter diesem »Häßlichkeits­ge­bot« und »Ästhetisierungstabu« wur­den der Kun­st die Aura, der Mythos und das Tragis­che aus­getrieben, damit aber auch ihre heilende Kraft der Klage und der reini­gen­den Kathar­sis. Unbe­sun­gen etwa war der Unter­gang des deutschen Ostens, »Stoff für Jahrhun­derte eines Homer, der Ilias und Äneis … Nur höch­ste Anstren­gung kann antworten, der Poe­sie und Gedichte, der Trauer, die uns braucht.« Die Deutschen hat­ten nie gel­ernt, über das »Elend ihrer Ver­luste« im let­zten Jahrhun­dert angemessen zu trauern. Statt dessen herrscht eine »ver­ant­wor­tungslose Gesellschaft« in einem »Mafi­asys­tem demokratis­ch­er Lebenslü­gen«, dominiert von ein­er »Kaste der Mei­n­ungswächter«: »Alle selb­sterk­lärten Prinzip­i­en der Mei­n­ungsvielfalt, der Exper­i­men­tier­freudigkeit, der Infor­ma­tion wer­den sofort ver­rat­en, wenn der Kon­sen­sus in Gefahr ist, von dem sie leben, zum Beispiel dieser Ästhetik seit 1945.«

Syber­berg benen­nt den Nexus zwis­chen dieser Kul­tur des deutschen Selb­sthas­s­es, des »Klage­ver­bots«, der Ästhetik des Gemeinen und dem Sta­tus der Deutschen als besiegtes, gekauftes und verge­waltigtes Volk unter dem Ban­ner der Re-edu­ca­tion, wenn er beschreibt, wie die Schuld zum »phan­tasi­etö­ten­den Geschäft« wurde.

Diejeni­gen inner­halb des »inzes­tuösen « Mei­n­ungses­tab­lish­ments, die sich von der­lei Aus­führun­gen ange­sprochen fühlen durften, reagierten auch prompt mit all jenen Dif­famierungs- und Äch­tungsstrate­gien, die Syber­berg beschreibt. Hier hat­te sich nicht irgend­je­mand mit  offen­em Visi­er gegen die Kul­turlinke gestellt, son­dern ein inter­na­tion­al (vor allem in Frankre­ich und den USA) bewun­dert­er Kün­stler und Avant­gardist, der selb­st lange genug jenes Klün­gel- und Anpas­sungsspielchen mit­gemacht hat­te, das er nun anprangerte. Trotz manch­er Län­gen, Redun­danzen und stilis­tisch allzu waghal­si­gen Pas­sagen ist ‘Vom Unglück und Glück der Kun­st in Deutsch­land nach dem let­zten Kriege” eine Fund­grube von inspiri­eren­den Betra­ch­tun­gen, eine ful­mi­nante Vertei­di­gungss­chrift für die Würde der Kun­st und gegen die Schmähung des nationalen Erbes, sowie das Doku­ment ein­er furcht­losen Sezes­sion von einem unfrucht­bar und ver­logen gewor­de­nen Main­stream. Vieles darin nahm Pas­sagen des drei Jahre später erschiene­nen Essays Anschwellen­der Bocks­ge­sang von Botho Strauß voraus; Syber­berg wurde zu ein­er bedeu­ten­den Leit­fig­ur für die intellek­tuelle neue Rechte der Post­wende-Zeit der neun­ziger Jahre.

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Zitat:

Was auch die Kun­st in Deutsch­land nach dem let­zten Kriege jagte, war der Fluch der Schuld, die sich als Werkzeug der Ein­schüchterung von links anbot, da sich die Linken als schuld­frei ver­standen und weil Hitler die Juden ver­fol­gt hat­te, nun in unseliger Allianz ein­er jüdisch linken Ästhetik gegen die Schuldigen bis zur Langeweile und alles kul­turelle Leben läh­menden Lügen, so daß die Schuld zum phan­tasi­etö­ten­den Geschäft wer­den kon­nte.

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Lit­er­atur:

  • Mar­tin Lichtmesz: In der Höh­le der Erin­nerung. Autoren­por­trait Syber­berg, in: Sezes­sion (2009), Heft 32