Weltbürgerkrieg

Welt­bürg­erkrieg ist ein Begriff, der zuerst während des Ersten Weltkriegs und dann in wach­sender Häu­fung während der Zwis­chenkriegszeit auf­trat. Gemeint ist damit zweier­lei:
1. Die Welt ist durch die Verkehrs- und Kom­mu­nika­tion­s­möglichkeit­en zu ein­er (poten­tiellen) Ein­heit (Uni­ver­sal­is­mus) gewor­den, so daß Staatenkriege als Anachro­nis­mus zu werten sind und es sich im Grunde schon um Kriege zwis­chen Ange­höri­gen der­sel­ben sozialen Gemein­schaft — also Bürg­erkriege — han­delt;
2. die fortbeste­hen­den Staat­en sind sich auf­grund dieser Lage der Loy­al­ität ihrer Bürg­er nicht mehr sich­er, weil es in jedem Staat Welt­bürg­erkriegsparteien gibt, deren Anhänger die Treue zu dieser Partei über die zu ihrem anges­tammten Vater­land stellen.

Es ist dabei zu beacht­en, daß sich diese Sit­u­a­tion der Ten­denz nach schon mit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und dem von ihr geschürten Sendungs­be­wußt­sein eingestellt hat­te, das in allen europäis­chen und teil­weise auch in außereu­ropäis­chen Län­dern rev­o­lu­tionäre und gegen­rev­o­lu­tionäre Frak­tio­nen hat­te entste­hen lassen. Eine Entwick­lung, die von der Linken bewußt gefördert wurde, in der Annahme, daß eine Wel­trev­o­lu­tion bevorste­he, die der eige­nen Seite zwangsläu­fig den Sieg brin­gen werde.

Diese Lage verän­derte sich infolge des Ersten Weltkriegs, weil durch den Krieg­sein­tritt der USA und den Erfolg des bolschewis­tis­chen Umsturzes eine neue Sit­u­a­tion ent­stand, insofern als nach der Nieder­lage der Mit­telmächte nun zwei aus den Ide­olo­gien der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion her­vorge­gan­gene Bewe­gun­gen als Konkur­renten um die glob­ale Durch­set­zung ein­er ide­alen poli­tis­chen Ord­nung auf­trat­en.

Das Scheit­ern der wel­trev­o­lu­tionären Konzepte Wilsons wie Lenins in der Nachkriegszeit ließ die Vorstel­lung entste­hen, daß es möglich sein kön­nte, eine dritte Posi­tion zwis­chen den Blöck­en zu beziehen (Drit­ter Weg). Entsprechende Ideen bewegten die Kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tion eben­so wie den Faschis­mus und den Nation­al­sozial­is­mus. Es zeigte sich allerd­ings im Ver­lauf des Zweit­en Weltkriegs das Fehlen jed­er tragfähi­gen Basis für eine entsprechende Front­bil­dung.

Stattdessen schien mit dem Beginn des Kalten Krieges der Welt­bürg­erkrieg als »glob­aler Aus­nah­mezu­s­tand« (Serge Mai­wald) zum Nor­malzu­s­tand zu wer­den und jeden Staat und jedes Indi­vidu­um zur Parteinahme für eines der bei­den Lager — das der USA oder das der Sow­je­tu­nion — zu zwin­gen. Wer damit rech­nete, daß das Ende dieser Kon­stel­la­tion nach dem Zusam­men­bruch des kom­mu­nis­tis­chen Sys­tems auch das »Ende der Geschichte« (Fran­cis Fukuya­ma) und damit die defin­i­tive glob­ale Durch­set­zung eines Mod­ells — hier: -»Demokratie Par­la­men­taris­mus und Mark­twirtschaft — bedeuten werde, sah sich allerd­ings ent­täuscht, denn der »End­sieg des West­ens« (Peter Glotz) hat­te längst neue Geg­n­er auf den Plan gerufen, etwa den islamis­chen Fun­da­men­tal­is­mus, und die fak­tis­che Schwächung der USA ließ eine monopo­lare Ord­nung auf Dauer nicht zu, förderte vielmehr die Entste­hung eines Pluriver­sums in der »post­amerikanis­chen Welt« (Fareed Zakaria).

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Zitate:

Wir beze­ich­nen diesen Vor­gang — Got­tfried Keller hat ihn ein­mal »die Geschichte selb­st« genan­nt — als den europäis­chen Bürg­erkrieg, der 1789 offen aus­bricht, der in immer neuen Kon­vul­sio­nen — 1809, 1848, 1870/71, 1914 sind die großen Etap­pen — das Geschehen beherrscht und der sich seit 1917, mit der Rück­kehr der USA aus der Iso­la­tion und der Bolschewis­tis­chen Okto­ber-Rev­o­lu­tion, in zunehmen­dem Maße in einen glob­alen Bürg­erkrieg, in den Welt­bürg­erkrieg der Gegen­wart ver­wan­delt.
Han­no Kest­ing

Entschei­dend auf dem Weg vom nationalen zum inter­na­tionalen Bürg­erkrieg war für Europa … das Jahr 1917. Es brachte aus dem West­en die Wiederkehr der amerikanis­chen Auswan­der­er in Form ein­er kriegführen­den Macht als mitbes­tim­men­dem Fak­tor, im Osten Europas aber die rus­sis­che Rev­o­lu­tion.
Mar­gret Boveri

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Lit­er­atur: