Berlin – Plötzensee

Wenn man die Gedenkstätte Plötzensee besucht und vor den Hin­rich­tungsraum tritt, muß man unwillkür­lich an die Anweisung denken, die Adolf Hitler für das Ver­fahren mit den Ver­schwör­ern
des 20. Juli 1944 gab: »Ich will, daß sie gehängt wer­den, aufge­hängt wie Schlachtvieh!« Die nack­ten Wände und vor allem die an einem Stahlträger befes­tigten Fleis­cher­hak­en, an denen seit Ende 1942 die Todeskan­di­dat­en in Plötzensee aufge­hängt wur­den, erweck­en tat­säch­lich den bek­lem­menden Ein­druck, sich in ein­er Art Schlachthof zu befind­en. Der Verzicht auf die son­st übliche gedenkstät­ten­päd­a­gogis­che Über­frach­tung mit Tex­ten und Bildern – in diesem Raum befind­en sich lediglich zum Gedenken niedergelegte Kränze – ver­stärkt diesen Ein­druck noch.

Mit beson­ders schö­nen Erin­nerun­gen ist Plötzensee wohl noch nie assozi­iert wor­den. Der Bezirk im Nor­den Berlins gehört heute zu Char­lot­ten­burg; der namensgebende See liegt im Wed­ding.
Ende des 19. Jahrhun­derts wurde hier bere­its ein großes Strafge­fäng­nis errichtet, das 1933 vom nation­al­sozial­is­tis­chen Staat über­nom­men wurde, wobei man sofort den Haftvol­lzug ver­schärfte. Abge­se­hen von gewöhn­lichen Häftlin­gen, saßen nun in Plötzensee auch poli­tis­che Unter­suchungs­ge­fan­gene und während des Zweit­en Weltkrieges zudem noch aus­ländis­che Zwangsar­beit­er ein. Sehr früh ging man außer­dem dazu über, zum Tode Verurteilte in Plötzensee zu inhaftieren und vor Ort hinzuricht­en. Schon in der Weimar­er Repub­lik wur­den hier Todesurteile voll­streckt, doch stieg deren Zahl nach 1933 kon­tinuier­lich, nach Kriegsaus­bruch sprung­haft an.

Oft ist darauf hingewiesen wor­den, daß die poli­tis­che Veror­tung des Nation­al­sozial­is­mus bei der Recht­en dessen rev­o­lu­tionären Charak­ter aus­blendet; sog­ar Max Horkheimer meinte 1939: »Die Ord­nung, die 1789 als fortschrit­tlich ihren Weg antrat, trug vom Beginn an die Ten­denz zum Nation­al­sozial­is­mus in sich.« Plötzensee ist in gewiss­er Weise ein Sinnbild des Zusam­men­hangs zwis­chen Franzö­sis­ch­er Rev­o­lu­tion und Nation­al­sozial­is­mus, da hier seit 1936 auf Anord­nung Hitlers die Todesurteile nach franzö­sis­chem Vor­bild mit der Guil­lo­tine voll­streckt wur­den. Erst
als im Dezem­ber 1942 die Hin­rich­tung von Mit­gliedern der kom­mu­nis­tis­chen Wider­stands­gruppe »Rote Kapelle« in Plötzensee anstand, befahl Hitler die Erhän­gung an den Fleis­cher­hak­en als beson­ders entehrende Hin­rich­tungsart.

Plötzensee ist außer­dem ein geeigneter Sym­bol­ort für den gesamten Wider­stand gegen den Nation­al­sozial­is­mus, weil hier außer der »Roten Kapelle« auch zahlre­iche Ver­schwör­er des 20. Juli 1944 hin­gerichtet wur­den, zudem noch Ange­hörige des »Kreisauer Kreis­es« um Hel­muth James Graf von Moltke, zu dem kurioser­weise auch der u. a. für Plötzensee zuständi­ge
Gefäng­nisp­far­rer Har­ald Poelchau gehörte, dessen Beteili­gung dem NS-Regime ver­bor­gen blieb. Die sich aus den noch rel­a­tiv geschlosse­nen Sozialm­i­lieus ergeben­den klas­sis­chen drei »K« des anti­na­tion­al­sozial­is­tis­chen Wider­standes – Kon­ser­v­a­tive, Katho­liken und Kom­mu­nis­ten (nen­nenswerten lib­eralen Wider­stand gegen Hitler hat es beze­ich­nen­der­weise nicht gegeben) – waren hier also in der Todeszelle ver­sam­melt. Während der kom­mu­nis­tis­che Wider­stand seine Moti­va­tion aus der Auf­fas­sung zog, daß sich in Deutsch­land lediglich die falsche Dik­tatur durchge­set­zt habe – bekan­nt ist die Aus­sage Her­mann Görings vor dem Nürn­berg­er Tri­bunal, der KPD-Führer Ernst Thäl­mann habe ihm 1934 im Gefäng­nis erk­lärt, im Falle eines kom­mu­nis­tis­chen Sieges wäre die NS-Führung nicht erst inhaftiert, son­dern sofort liq­ui­diert wor­den –, so ging es dem katholis­chen wie dem kon­ser­v­a­tiv­en Wider­stand um die Verpflich­tung gegenüber einem höheren Gut, das der Nation­al­sozial­is­mus ignori­erte oder ver­ri­et. Die Ver­schwör­er des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg entschlossen sich zum Hochver­rat, weil sie dies der Ehre wie der Zukun­ft der deutschen Nation schuldig zu sein glaubten.

Diese Moti­va­tion erk­lärt auch die Schwierigkeit­en, die die Bun­desre­pub­lik im Grunde von Anfang an mit dem Erbe des 20. Juli hat­te – zuerst, weil man in (unge­woll­ter) Anlehnung an Hitlers Wort von der »Clique ehrgeiziger, gewis­senlos­er und zugle­ich ver­brecherisch­er, dum­mer Offiziere« den Putschver­such mit­ten im Krieg für Lan­desver­rat erk­lärte; später, weil man unter dem Ein­fluß des »Kampfes gegen rechts« gar keinen wesentlichen Unter­schied mehr zwis­chen der Weltan­schau­ung der Ver­schwör­er und dem Nation­al­sozial­is­mus zu erken­nen in der Lage war. Plötzensee kommt vor diesem Hin­ter­grund eine beson­dere Bedeu­tung zu, ger­ade weil hier mehr oder weniger alle Wider­stand­skreise zusam­menka­men und man die Erin­nerung nicht auf den »recht­en« Wider­stand beschränken muß.

Jeden­falls hat Plötzensee einen fes­ten Platz in der staatlichen Geschicht­spoli­tik und der offiz­iösen Gedenkstät­tenkul­tur. Das hängt natür­lich mit der alles andere überdeck­enden Konzen­tra­tion auf den Nation­al­sozial­is­mus im staatlich verord­neten Geschichts­bild zusam­men, die dazu führt, daß von den Helden der deutschen Nation eben nur noch der Wider­stand gegen Hitler übrigge­blieben ist. Bis heute ver­anstal­tet die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land jedes Jahr am 20. Juli eine offizielle Gedenk­feier im Bendlerblock – wo Stauf­fen­berg erschossen wurde – mit anschließen­der Kranznieder­legung an der Gedenkstätte Plötzensee. Daran sowie an der Fülle von staatlich­er­seits bere­it­gestell­ten Infor­ma­tio­nen und über­haupt der Sorgfalt der Erin­nerungspflege auf diesem Sek­tor kann man erken­nen, was bei ein­er angemesse­nen Geschicht­spoli­tik prinzip­iell auch an ander­er Stelle möglich wäre.

– — –

Lit­er­atur:

  • Joachim Fest: Staatsstre­ich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1994
  • Vic­tor von Gostomski/Walter Loch: Der Tod von Plötzensee. Erin­nerun­gen – Ereignisse – Doku­mente 1942–1944, Frank­furt a. M. 1993
  • Karl­heinz Weiß­mann: Der Weg in den Abgrund. Deutsch­land unter Hitler 1933 bis 1945, München 1997
  • Eber­hard Zeller: Geist der Frei­heit. Der 20. Juli, Berlin 2008