Düsseldorf – Golzheimer Heide

»Die drei Nor­nen«, so heißt das elf Meter hohe Mon­u­ment des Bild­hauers Jupp Rueb­sam am west­lichen Rande des Düs­sel­dor­fer Nord­fried­hofs. Wenige Meter dahin­ter pulsiert die Bun­desstraße 8, die hier als Zufahrt für Messe, Sta­dion und Flughafen dient. Die drei Nor­nen: Seit dem Volk­strauertag des Jahres 1958 sym­bol­isieren die Frauengestal­ten Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukun­ft. Das düstere Trio gemah­nt an die »Opfer des Feldes, der Heimat und des poli­tis­chen Ter­rors« und bildet den zirkel­ge­nauen Mit­telpunkt ein­er kreis­run­den Fläche von knapp 50
Metern, auf der mehrere Fußwege zusam­men­laufen.

Exakt an dieser Stelle endete ehe­dem die 1,4 Kilo­me­ter lange Haup­tachse der 1937 gezeigten Reich­sausstel­lung »Schaf­fend­es Volk« an ihrer östlichen Seite. Und exakt hier ragte 14 Jahre lang ein Stahlkreuz in die Höhe, das seit 1931 eine nationale Pil­ger­stätte gewor­den war und nach 1945 rest­los ent­fer­nt wurde. Es ist der Ort der Hin­rich­tung des Freiko­rp­skämpfers Albert Leo Schlageter. Das 27 Meter hohe Kreuz bildete den optis­chen Schw­er­punkt der ein­sti­gen Schlageter-Gedenkstätte. Zu Füßen des Kreuzes lag ein großer Stein­sarkophag, dem zugle­ich die Funk­tion eines altarähn­lichen Sock­els zukam. Er trug die Worte des Arbei­t­er­dichters Hein­rich Ler­sch: »Deutsch­land muß leben, auch wenn wir ster­ben müssen.« Ergänzt wurde das Ensem­ble durch einen unterirdis­chen Gedenkraum und einen kre­is­för­mi­gen Hof von vier Metern Tiefe mit einem Durchmess­er von 28 Metern. Weit­er befan­den sich 141 Gedenksteine für die Opfer des Ruhrkampfes bei der Gruft. Ent­wor­fen hat­te die Anlage der Architekt Clemens Holzmeis­ter, eingewei­ht wurde sie am 23. Mai 1931, auf den Tag genau acht Jahre nach­dem Schlageter an dieser Stelle durch die Kugeln franzö­sis­ch­er Besatzungssol­dat­en den Tod fand. Obwohl die Gesam­tan­lage nur 10 000 Per­so­n­en Platz bot, sollen an die 50 000 Men­schen an den Feier­lichkeit­en teilgenom­men haben. Sein­erzeit war die riesige Brache im Nor­den der Stadt in Anlehnung an den näch­stliegen­den Stadt­teil gemein­hin als Golzheimer Hei­de bekan­nt.

Wenig später, Mitte der 1930er Jahre, entste­hen hier gle­ich zwei städte­bauliche Muster­sied­lun­gen nach nation­al­sozial­is­tis­chen Vorstel­lun­gen: die Wil­helm-Gust­loff-Sied­lung und die Schlageter-Sied­lung. Die nord­deutschdör­fliche Anmu­tung ihrer reich­be­grün­ten Straßen­züge mit den weißgeschlämmten Back­stein­häusern samt fre­undlichen Sprossen­fen­stern wird zu Beginn des 21.
Jahrhun­derts vor allem beim gehobe­nen Düs­sel­dor­fer Mit­tel­stand geschätzt wer­den.

Albert Leo Schlageter wurde am 12. August 1894 als sech­stes von elf Kindern ein­er Bauern­fam­i­lie in Schö­nau im Schwarzwald geboren. Die Schulzeit auf einem katholis­chen Freiburg­er  Gym­na­si­um endete im August 1914 jäh: Nahezu voll­ständig melde­ten sich die Freiburg­er Stu­den­ten und Ober­schüler frei­willig zu den Waf­fen. Schlageter legte das Notabitur ab und trat als Kriegs­frei­williger in das Fel­dar­tilleriereg­i­ment 76 ein. Ab März 1915 bis 1918 blieb er an der West­front einge­set­zt und erhielt bei­de Klassen des Eis­er­nen Kreuzes.

Nach dem Waf­fen­still­stand vom Novem­ber 1918 kehrte seine Bat­terie in das rev­o­lu­tionäre Deutsch­land zurück und ver­weigerte dort die Bil­dung eines Sol­daten­rates eben­so wie ihre Ent­waffnung. Nach der Ent­las­sung aus dem Heeres­di­enst schlug Schlageter zunächst den Weg ins bürg­er­liche Dasein ein. Er imma­trikulierte sich an der volk­swirtschaftlichen Fakultät der Uni­ver­sität Freiburg und trat ein­er katholis­chen Stu­den­ten­verbindung bei. Doch schon bald betätigte er sich in ver­schiede­nen Freiko­rps, die im Baltikum zur Abwehr bolschewis­tis­ch­er Trup­pen aus Ruß­land, in Ober­schle­sien zur Vertei­di­gung der verbliebe­nen Ost­gren­ze gegen Polen, im West­en zur Nieder­schla­gung der Spar­takusauf­stände einge­set­zt wur­den. Die man­gel­nde Unter­stützung der Reich­sregierung für die Baltikum­frei­willi­gen und ihre zeitweilige Aus­nutzung im Inter­esse der anti­bolschewis­tis­chen Inter­ven­tion­spoli­tik Eng­lands desil­lu­sion­ierten Schlageter. Über­liefert sind von ihm fol­gende Worte: »Wir ver­acht­en das Bürg­er­tum und ret­ten es doch mit unserem Blut. Wir sind ange­treten, um die Frei­heit der Nation zu sich­ern, und schützen eine Regierung, die das Volk und die Nation ver­rat­en hat.« Der Weg für den »Wan­der­er ins Nichts« (Karl Radek), so scheint es beina­he, hat­te den let­zten Abzweig genom­men.

Daß die Reich­sregierung unter alli­iertem Druck die Auflö­sung der Freiko­rpsver­bände anord­nete, bestärk­te Schlageter angesichts der Zustände im Reich und der Fol­gen von Ver­sailles in sein­er grund­sät­zlichen Ablehnung der neuen Ord­nung. So war er dabei, als sich im Okto­ber 1922 die Nation­al­soziale Vere­ini­gung als nord­deutsche Vor­fel­dor­gan­i­sa­tion der NSDAP grün­dete und sich nach dem bald darauf erfol­gten Ver­bot als Großdeutsche Arbeit­er­partei reor­gan­isierte.

Als Schlageter Ende Feb­ru­ar 1923 ins Rhein­land kam, hat­te sich auch hier die Ver­sorgungslage merk­lich ver­schlechtert. Städte wie Köln und Düs­sel­dorf wur­den durch die Absper­rung im Ruhrkampf wirtschaftlich hart getrof­fen. Der enorme Anstieg der Arbeit­slosigkeit und die harten Besatzungs­maß­nah­men reizten die Stim­mung in der Bevölkerung, zugle­ich wuchs der Res­o­nanzraum für nationale Emo­tio­nen. Freiko­rp­skämpfer und Kom­mu­nis­ten kämpften ein­trächtig gegen Besatzer und deutsche Kol­lab­o­ra­teure, während die Reich­sregierung lediglich »pas­siv­en Wider­stand« propagierte. So geri­et Schlageter zwis­chen die Fron­ten. Nach erfol­gre­ichen Sprengstof­fan­schlä­gen am Essen­er Bahn­hof Hügel und auf die Eisen­bahn­brücke bei Kalkum kamen die Fran­zosen Schlageter durch eingeschleuste Verbindungsleute auf die Spur. Am 7. April wurde er in Essen ver­haftet.

Das franzö­sis­che Kriegs­gericht machte kurzen Prozeß. Zwar ver­sucht­en die Vertei­di­ger noch, das Urteil zu mildern, doch ihre Revi­sion­santräge – unter­stützt durch die Medi­en sowie die Kirchen
im Reich, selb­st die Reich­sregierung protestierte for­mal in Paris – wur­den abgewiesen. Der Leichen­zug geri­et zur nationalen Protestkundge­bung gegen die Ruhrbe­set­zung und den rheinis­chen Sep­a­ratismus. Demon­stra­tiv nahm Adolf Hitler an der Beiset­zung Schlageters im heimis­chen Schö­nau teil, obwohl Schlageter offenkundig gegen die Maß­gabe der NS-Führung, sich nicht am Ruhrkampf zu beteili­gen, ver­stoßen hat­te.

Auch die Kom­mu­nis­ten ver­sucht­en sich an der Vere­in­nah­mung Schlageters. Am 21. Juni 1923 würdigte Karl Radek vor dem Drit­ten Plenum des Exeku­tivkomi­tees der Kom­mu­nis­tis­chen Inter­na­tionale den Kampf Schlageters gegen die franzö­sis­che Besatzung­sh­errschaft und löste damit eine zwis­chen­zeitliche Kon­tro­verse inner­halb der KPD über das Ver­hält­nis zur nation­al­rev­o­lu­tionären Recht­en aus, die Schlageter für sich reklamierte. Friedrich Georg Jünger läßt sein Gedicht »Albert Leo Schlageter« mit dem Satz enden: »O Brud­er du, am Pfahl  dahinge­sunken, / du legtest ster­bend unsr­er Zukun­ft Schwellen«. Die nationale Verk­lärung Schlageters wurde allerd­ings vom Bürg­er­tum über­nom­men, das in den Fol­ge­jahren mehr als 100 Gedenkstät­ten im Reich errichtete – die man nach dem Krieg fast voll­ständig wieder abräumte.

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Lit­er­atur:

  • Friedrich Georg Jünger: Albert Leo Schlageter, in: Ernst Jünger (Hrsg.): Die Unvergesse­nen, München 1928
  • Ernst von Salomon: Das Buch vom deutschen Freiko­rp­skämpfer, Berlin 1938