Elite

Elite ist, wie die lateinis­che (eligere) beziehungsweise franzö­sis­che Wurzel (élire) des Wortes sagt, immer ein Ergeb­nis des »Auswäh­lens«, entste­ht dem­nach infolge »sozialer Siebung« (Wil­helm E. Mühlmann). Damit ist nicht mehr als eine Fest­stel­lung getrof­fen. Man kann aber einen deskrip­tiv­en Elite­be­griff von einem nor­ma­tiv­en unter­schei­den. Im ersten Fall wird nur kon­sta­tiert, daß men­schliche Gemein­schaften zur Aus­bil­dung und Ver­fes­ti­gung von Führungs­grup­pen neigen, im zweit­en behauptet, daß es notwendig und möglich sei, tat­säch­lich die »Besten« für die Elite auszuwählen. Dieses Ziel streben im Prinzip alle poli­tis­chen The­o­rien an, soweit sie nicht radikal egal­itär ori­en­tiert sind und die »Herrschaft der Canaille« (Jacques Ran­cière) wün­schen.

Eine echte Eliten-Prob­lematik hat sich im Grunde erst infolge der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion aus­ge­bildet, nach­dem die Stel­lung des Adels als durch Herkun­ft bes­timmte »natür­liche Elite« (Aris­tokratie) grund­sät­zlich in Frage gestellt wor­den war. Während auf der einen Seite die an Gle­ich­heit ori­en­tierten Gesellschaftsmod­elle die Notwendigkeit ein­er Elite über­haupt in Frage stell­ten, drang aus dem bürg­er­lichen Denken das Leis­tung­sprinzip als Legit­i­ma­tion gesellschaftlich­er Eliten in das all­ge­meine Bewußt­sein vor. Mit dieser Entwick­lung über­schnitt sich die Aus­bil­dung der Mas­sen­ge­sellschaft, deren niv­el­lierende Ten­denz von Kon­ser­v­a­tiv­en wie Lib­eralen mit Sorge gese­hen wurde.

Darauf reagierte am Ende des 19. Jahrhun­derts Niet­zsches Prophetie von der Her­aufkun­ft des »let­zten Men­schen«, dessen Herrschaft nur durch das Auftreten des »Über­men­schen« been­det wer­den könne. Par­al­lel zu solchen ein­flußre­ichen, aber eher poet­is­chen Vorstel­lun­gen ein­er kom­menden Elite ent­stand eine real­is­tis­che sozi­ol­o­gis­che Schule, zu deren Begrün­dern vor allem Gae­tano Mosca, Vil­fre­do Pare­to und Robert Michels zählten, die das »eherne Gesetz der Oli­garchisierung« (Robert Michels) und die Zwangsläu­figkeit der »Eliten­zirku­la­tion« (Vil­fre­do Pare­to) in den Mit­telpunkt ihrer Gesellschaftswis­senschaft stellte.

Die meis­ten ihrer Vertreter waren Lib­erale und Kon­ser­v­a­tive, einige näherten sich später dem Faschis­mus. Es gab zwar auch auf der Linken Anhänger des Eliteprinzips, die annah­men, daß die Masse als solche unfähig sei, den Sozial­is­mus zu ver­wirk­lichen; aber von weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen (Leonard Nel­son), hiel­ten ihre Pro­tag­o­nis­ten an der Auf­fas­sung fest, daß im Endzu­s­tand der Gesellschaft voll­ständi­ge Egal­ität möglich sei. Demge­genüber neigte und neigt die Rechte auf­grund ihrer skep­tis­chen Anthro­polo­gie der Auf­fas­sung zu, daß das Vorhan­den­sein von Eliten immer unumgänglich bleiben wird und die his­torische Entwick­lung eben nicht von Massen, son­dern von Führungs­grup­pen bes­timmt wird, die miteinan­der konkur­ri­eren und siegen, unterge­hen oder sich nach einem Kom­pro­miß zwis­chen Machtbe­sitzern und Auf­steigern reor­gan­isieren. In dieser Per­spek­tive erscheint die Geschichte ins­ge­samt als »Fried­hof von Aris­tokra­tien« (Vil­fre­do Pare­to).

Nach dem Zusam­men­bruch der tra­di­tionellen Ord­nung durch den Ersten Weltkrieg hielt nur noch eine Min­der­heit an der Idee fest, den Adel wieder­herzustellen. Die Mehrzahl der Eliteth­e­o­rien ging entwed­er von ein­er Verbindung zwis­chen charis­ma­tis­ch­er Herrschaft und plebisz­itär­er Legit­i­ma­tion aus oder wün­schte einen Stän­destaat, dessen Hier­ar­chie nach Leis­tungskri­te­rien bes­timmt wer­den sollte. Am Rande existierten außer­dem eher ästhetisch motivierte Ideen, die von ein­er geisti­gen Elite aus­gin­gen, etwa im Umkreis des Dichters Ste­fan George.

Infolge der Diskred­i­tierung aller autoritären Lösungsmod­elle in der Nachkriegszeit ver­schwand die kon­ser­v­a­tive Demokratiekri­tik zwar nicht, aber die meis­ten ihrer Ver­fechter ver­standen sie jet­zt als Moment der Sys­tem­sta­bil­isierung. Erneut waren es vor allem Sozi­olo­gen, darunter in erster Lin­ie Hans Frey­er und Arnold Gehlen, später Hel­mut Schoeck und Hel­mut Schel­sky, die darauf hin­wiesen, daß Elite auch in demokratis­chen Staat­en unverzicht­bar seien, wenn sie den Her­aus­forderun­gen poli­tis­ch­er Exis­tenz gewach­sen sein soll­ten.

Infolge der kul­tur­rev­o­lu­tionären Umwälzun­gen, die die Neue Linke seit den sechziger Jahren erre­ichte, durfte man sich zwar in seinen Befürch­tun­gen bestätigt fühlen, war aber außer­stande, den Prozeß aufzuhal­ten oder sog­ar umzukehren. Der anti-elitäre Affekt mußte sich erst voll­ständig ver­brauchen, bevor an einen Wan­del zu denken war. Unter den verän­derten gesellschaftlichen Rah­menbe­din­gun­gen, die seit den neun­ziger Jahren erkennbar wur­den, bestre­it­et kaum noch jemand die Notwendigkeit von Eliten. Das gilt für den wirtschaftlichen und teil­weise auch für den wis­senschaftlichen Bere­ich. Allerd­ings ver­mei­det man tun­lichst eine Debat­te darüber, welche Fol­gerun­gen eine offene Eli­ten­de­bat­te für die Beurteilung des poli­tis­chen Per­son­als haben müßte.

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Zitat:

Die Spezies der Poli­tik­er bildet eine neg­a­tive Auswahl aus der Bevölkerung. Weil die Poli­tik­er aus den Kreisen der­er rekru­tiert wer­den, die sich von Jugend auf in den Parteien bewährt haben, der­er, die den zer­mür­ben­den Hür­den­lauf ein­er Parteikar­riere schon aufgenom­men haben, bevor sie über­haupt eine eigene poli­tis­che Mei­n­ung entwick­eln kon­nten, ergibt sich eine ungün­stige Selek­tion.
Sibylle Tön­nies

Ein Eliteanspruch muß also stets durch eine Aske­se­forderung legit­imiert sein, oder er dringt nicht durch.
Arnold Gehlen

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Lit­er­atur: