Essays — T.S. Eliot (1967)

Der anglo-amerikanis­che Dichter und Pub­lizist T. S. Eliot gehört zu den bedeu­tend­sten Moder­nität­skri­tik­ern des Abend­lan­des im 20. Jahrhun­dert. Die Stoßrich­tung sein­er kri­tis­chen Inter­ven­tio­nen war gegen die sen­ti­men­tale Roman­tik gerichtet und ging mit ein­er Bejahung des Klas­sis­chen ein­her, die sich zum einen auf die Lit­er­atur, zum anderen aber auch auf Poli­tik und Reli­gion bezog.

Bekan­nt wurde seine Selb­st­beschrei­bung als Anglokatho­lik in der Reli­gion, als Klas­sizist in der Lit­er­atur und als Roy­al­ist in der Poli­tik – der Klas­sizis­mus war für ihn vor allem ein Glaube an die Erb­sünde, aus dem die Notwendigkeit ein­er stren­gen Diszi­plin fol­gte. Entsprechend war ein Klas­sizist in bezug auf Kun­st und Lit­er­atur im Sinne Eliots mit großer Wahrschein­lichkeit ein Anhänger der monar­chis­chen Regierungs­form und auch der katholis­chen Kirche. Eliot ging es den­noch nicht um eine Vertei­di­gung der Aris­tokratie, wohl aber um eine hier­ar­chisch gegliederte Gesellschaft, in der auch eine Aris­tokratie eine legit­ime und für das Ganze notwendi­ge Funk­tion haben sollte.

In seinem Essay »Tra­di­tion und indi­vidu­elle Begabung« ver­tritt Eliot die These, daß wahre Orig­i­nal­ität nur im Rah­men ein­er Tra­di­tion möglich ist und daß der Kün­stler auch im Akt der Schöp­fung von etwas Neuem die Tra­di­tion erneuert. Die Aufrechter­hal­tung der Ord­nung erfordert es daher, daß die Ord­nung durch die Ein­führung von etwas Neuem verän­dert wird, wom­it jedoch ger­ade keine radikalen Verän­derun­gen gemeint sind, welche die beste­hende Ord­nung von Grund auf zer­stören. Zur Tra­di­tion gehört die Anerken­nung des Zeit­losen wie des Zeitlichen sowie des Zeit­losen und des Zeitlichen in einem.

Tra­di­tion kann daher nicht nur als Fes­thal­ten an bes­timmten Dog­men ver­standen wer­den, son­dern muß als lebendi­ge Gestalt begrif­f­en wer­den, auch wenn diese zu einem bedeu­ten­den Teil unbe­wußt ist. Eliot ver­ste­ht unter Tra­di­tion »all jene gewohn­heitsmäßi­gen Hand­lun­gen, Gewohn­heit­en und Bräuche von dem bedeu­tungsvoll­sten religiösen Rit­us an bis zur der bei uns üblichen Weise, einen Frem­den zu grüßen, die die Blutsver­wandtschaft der “sel­ben Leute, die an dem­sel­ben Orte leben”, darstellen«. Tra­di­tio­nen sind also nichts Unverän­der­lich­es; man dürfe das Lebendi­ge nicht mit dem wesen­los Gewor­de­nen, das Wirk­liche nicht mit dem Sen­ti­men­tal­en ver­wech­seln, denn eine sen­ti­men­tale Hal­tung gegenüber der Ver­gan­gen­heit sei nicht zu unserem Vorteil.

Eliot ver­sucht, die für die abendländis­che Kul­tur wichtige Frage »Was ist ein Klas­sik­er?« unter Ver­weis auf Vergil zu beant­worten, der als Repräsen­tant der Würde und der Ord­nung gel­ten kann. Vor allem komme es hier­bei aber auf Reife an: Ein klas­sis­ches Werk kann nur entste­hen, wenn eine Kul­tur, ihre Sprache und Lit­er­atur, reif ist und wenn es zudem das Werk eines reifen Geistes ist. Dadurch wird der Charak­ter des Uni­versellen der Kun­st ver­bürgt. Eliot betont immer wieder die Bedeu­tung der Bil­dung; von den drei Ten­den­zen im Bil­dungswe­sen greift er die lib­erale und die radikale an, während er die von ihm ortho­dox genan­nte vertei­digt. Völ­lige Frei­heit in der Bil­dung sei ver­fehlt, »denn zur wahren Bil­dung ist es uner­läßlich, daß man lernt, sich für Gegen­stände zu inter­essieren, für welche man keine beson­dere Nei­gung hat«. Es gebe nur zwei endgültige Hypothe­sen über das men­schliche Dasein, die katholis­che oder die mate­ri­al­is­tis­che; die Vertei­di­gung der human­is­tis­chen Bil­dung bedarf der Verbindung von klas­sis­chen Sprachen mit katholis­ch­er Weltan­schau­ung. Das Chris­ten­tum muß mit mehr intellek­tuellem Respekt behan­delt wer­den als üblich; es soll mehr als Sache des Denkens als des Gefühls betra­chtet wer­den. Auch ist ein kon­tem­pla­tives Leben höher zu werten als ein aktives, worin sich Eliot mit dem Philosophen Josef Pieper einig war. Eliot kri­tisiert daher auch, daß die Uni­ver­sitäten sich nicht mehr über das Ziel der Bil­dung einig sind.

Das Dog­ma der Chan­cen­gle­ich­heit, das Eliot als beson­ders ein­flußre­ich ansieht, kann nur dann vol­lkom­men real­isiert wer­den, wenn man die Fam­i­lie nicht mehr respek­tiert und wenn Ver­ant­wor­tung der Eltern an den Staat abgegeben wird.

Von Bedeu­tung für das kon­ser­v­a­tive Denken sind schließlich auch seine Essays »Die Idee ein­er christlichen Gesellschaft« (1940) und »Zum Begriff der Kul­tur« (1948). Ohne selb­st konkrete Vorschläge für eine Ord­nung der Gesellschaft im kon­ser­v­a­tiv­en Sinne zu machen, brachte Eliot doch z.B. in »Zum Begriff der Kul­tur« seine Überzeu­gung zum Aus­druck, daß er dem Egal­i­taris­mus kri­tisch gegenüber­ste­ht, da »voll­ständi­ge Gle­ich­heit all­ge­meine Ver­ant­wor­tungslosigkeit bedeutet«.

Eliots kom­plex­er Ver­such ein­er Begriffs­bes­tim­mung der Kul­tur wird in der ein­schlägi­gen kul­tur­wis­senschaftlichen Lit­er­atur kri­tisch gese­hen, weil sie nor­ma­tive Imp­lika­tio­nen hat, der Massenkul­tur kri­tisch gegenüber­ste­he und eth­nozen­trisch europäisch sei; wegen ihrer Weite – Kul­tur als die gesamte Lebensweise eines Volkes – hat er allerd­ings auch auf die späteren cul­tur­al stud­ies gewirkt. Der kon­ser­v­a­tive Philosoph Roger Scru­ton dage­gen würdigt Eliot als größten Dichter englis­ch­er Sprache, den das 20. Jahrhun­dert her­vorge­bracht habe und ohne den die Philoso­phie des Tory­tums im 20. Jahrhun­dert jede Sub­stanz ver­loren hätte. Eliots Mod­ernismus in der Kun­st stellte sein­er­seits den Ver­such dar, die kün­st­lerischen und lit­er­arischen Tra­di­tio­nen ein­er Welt des ortho­dox­en Glaubens in ein­er Welt des Unglaubens fortzuführen (Thorn­ton-Nor­ris).

Neben den zahlre­ichen Essays des philosophisch geschul­ten Dichters wird man deshalb das lyrische Werk Eliots von Das wüste Land (1922) bis zu den Vier Quar­tet­ten (1943) als uner­schöpflich­es Reser­voir für eine Kri­tik der mod­er­nen Kul­tur aus dem Geist des Chris­ten­tums her­anziehen müssen.

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Zitat:

Was wir tun kön­nen, ist dieses: geistig wach zu bleiben, immer dessen einge­denk, daß eine Tra­di­tion ohne Intel­li­genz keine Daseins­berech­ti­gung besitzt; zu ergrün­den, welche Leben­sart uns am besten entspricht – uns, nicht als ein­er poli­tis­chen Abstrak­tion, son­dern als einem beson­deren Volk an einem beson­deren Platz; welch­er Bestand der Ver­gan­gen­heit der Erhal­tung wert ist, und welchen man aufgeben sollte; und welche Voraus­set­zun­gen, die herzustellen in unser­er Macht liegt, das Entste­hen der von uns ersehn­ten Gesellschaft fördern wür­den.

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Lit­er­atur:

  • Rus­sell Kirk: Eliot and His Age. T. S. Eliot‘s Moral Imag­i­na­tion in the Twen­ti­eth Cen­tu­ry, La Salle 1984
  • Craig Raine: T. S. Eliot, Oxford 2006
  • Andrew Thorn­ton-Nor­ris: The Spir­i­tu­al His­to­ry of Eng­lish, Lon­don 2010