Faschismus

Faschis­mus ist ein Begriff, der vom ital­ienis­chen fas­cio abgeleit­et wird, was soviel wie »Bund« oder »Bünd­nis« bedeutet. Erst nachträglich wurde es üblich – im Zuge der Aneig­nung des Rom-Kultes durch den ital­ienis­chen Faschis­mus – eine Beziehung zu den Fasces herzustellen (Ruten­bün­del mit ein­er Axt in der Mitte, die die römis­chen Lik­toren als Zeichen der vol­lziehen­den Gewalt des Kon­suls beziehungsweise Dik­ta­tors tru­gen).

Beze­ich­nen­der­weise fand das Wort fas­cio zuerst am Ende des 19. Jahrhun­derts in der ital­ienis­chen Arbeit­er­be­we­gung Ver­wen­dung, um spon­tane Zusam­men­schlüsse zu beze­ich­nen, die sich bei Streiks oder Protesten bilde­ten. Die durch Mus­soli­ni nach sein­er Tren­nung von der sozial­is­tis­chen Partei zur Stärkung des Inter­ven­tion­is­mus gegrün­de­ten Fas­ci d’Azione ver­standen sich genau­so in dieser Tra­di­tion wie die Fas­ci di Com­bat­ti­men­to, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zum Sam­melpunkt ent­täuschter Nation­al­is­ten und Sozial­is­ten wur­den, die den »ver­lore­nen Sieg« wettmachen, die schwache par­la­men­tarische Ord­nung beseit­i­gen und gle­ichzeit­ig die Bedro­hung durch eine kom­mu­nis­tis­che Rev­o­lu­tion abwehren woll­ten.

Die Verknüp­fung von nation­al­is­tis­chen und sozial­is­tis­chen Ele­menten bes­timmte auch die Pro­gram­matik des Faschis­mus, was erk­lärt, warum viele Zeitgenossen ihn als eine Bewe­gung jen­seits des alten Links-Rechts-Schemas betra­chteten. Dabei war keineswegs von Anfang an gek­lärt, daß im Zweifel das rechte Ele­ment den Auss­chlag geben und sich ein Bünd­nis mit kon­ser­v­a­tiv­en Kräften anbi­eten würde.

Mus­soli­ni selb­st schwank­te jeden­falls lange Zeit zwis­chen der Option eines Reform­sozial­is­mus und ein­er Radikalisierung des nation­al­is­tis­chen Konzepts. Im roman­is­chen Faschis­mus, dem ital­ienis­chen »Urfaschis­mus« eben­so wie im franzö­sis­chen und spanis­chen Faschis­mus, blieb die Zahl der linken Renegat­en auf­fal­l­end groß, die im Faschis­mus vor allem eine Mod­ernisierungs- und Radikalisierungsmöglichkeit der sozialdemokratisierten Arbeit­er­be­we­gung sahen, unter Umge­hung der Irrtümer des Kom­mu­nis­mus (Georges Val­ois, Jacques Dori­ot, Mar­cel Déat). In gewis­sem Sinn gilt diese Ein­schätzung auch für den Briten Oswald Mosley, den Iren Patrick O’Duffy und den Gren­zgänger Hen­drik de Man.

Jeden­falls kann die Zusam­me­nar­beit mit der tra­di­tionellen Recht­en nicht aus deren Wesens­gle­ich­heit ver­standen wer­den. Von kon­ser­v­a­tiv­er Seite wurde immer das aktivis­tis­che Ele­ment sowie die prinzip­ielle Bejahung der Mas­sen­ge­sellschaft kri­tisiert. Unter dem wach­senden Druck während des Zweit­en Weltkriegs zeigten sich nicht nur fun­da­men­tale Kon­flik­te, in viel­er Hin­sicht kann die Auseinan­der­set­zung in Europa auch gedeutet wer­den als Kampf zwis­chen Kon­ser­v­a­tiv­en wie Churchill oder de Gaulle und Faschis­ten.

Wenn in diesem Fall eine Gle­ich­set­zung von Faschis­mus und deutschem Nation­al­sozial­is­mus vorgenom­men wird, bleibt die aber ins­ge­samt doch prob­lema­tisch. Zwar hat­ten bei­de das nation­al-sozial­is­tis­che Schlüs­se­lele­ment in der Ide­olo­gie gemein­sam und es gab gewisse Übere­in­stim­mungen im poli­tis­chen Stil (Uni­formierung, mar­tialis­che Sym­bo­l­ik, Massierung, Dia­log von »Führer« und »Gemein­schaft«), aber die Nation­al­sozial­is­ten ver­wen­de­ten beze­ich­nen­der­weise »Faschist« als abw­er­tende Vok­a­bel, um jene zu markieren, die nur beina­he, aber nicht kon­se­quent auf ihrer Seite standen.

Diese Wahrnehmung erscheint vor allem aus zwei Grün­den berechtigt:
1.Der Faschis­mus ori­en­tierte sich in sein­er poli­tis­chen Zielset­zung immer zuerst auf den Staat, nicht auf »Volk« oder »Rasse«,
2. damit in Zusam­men­hang ste­ht, daß es keine zwin­gende Verknüp­fung von Faschis­mus und Anti­semitismus gibt; für den ital­ienis­chen Fall ist darauf hinzuweisen, daß zu dessen Führungskreis lange Zeit auch Juden (und Freimau­r­er!) gehörten und eine Ras­sen­ge­set­zge­bung erst unter deutschem Druck zus­tande kam und niemals ganz kon­se­quent durchge­set­zt wurde.

Ins­ge­samt erscheint der Faschis­mus als ein aus­ge­sprochen het­ero­genes Gebilde. Wenn man den Begriff gen­er­al­isierend ver­wen­det, reicht das Spek­trum von den Bauern­wehren der finnis­chen »Lap­po« und der christlich-fun­da­men­tal­is­tis­chen »Eis­er­nen Garde« in Rumänien über den Faschis­mus im eigentlichen Sinn mit seinen zahllosen Nachah­mern bis zu den ägyp­tis­chen »Grün­hem­den« und dem argen­tinis­chen »Per­o­nis­mus«. Die ide­ol­o­gis­chen Unter­schiede blieben, trotz der gemein­samen Frontstel­lung gegen Kom­mu­nis­mus und Lib­er­al­is­mus und trotz des gemein­samen Bezugs auf einen inte­gralen Nation­al­is­mus, erhe­blich. Ähn­lich unüber­sichtlich erscheint auch das Bild der Regime, die von siegre­ichen faschis­tis­chen Bewe­gun­gen gegrün­det wur­den; der Grad ihrer »Total­ität«, auch ihres Ver­nich­tungswil­lens gegenüber wirk­lichen oder ver­meintlichen Geg­n­ern, schwank­te.

Diese Unüber­sichtlichkeit erk­lärt zum Teil, warum nach 1945 die Frage nicht abschließend zu beant­worten war, ob mit der Nieder­lage der Achsen­mächte auch der Faschis­mus erledigt sei, dessen »Epoche« (Ernst Nolte) eben von der Bolschewis­tis­chen Rev­o­lu­tion bis zu diesem Ende gedauert habe, oder ob man von ein­er grund­sät­zlichen faschis­tis­chen Option der mod­er­nen Gesellschaft aus­ge­hen müsse, die in Krisen­si­t­u­a­tio­nen immer wieder dazu neigen kann, den Faschis­mus als Bewäl­ti­gungsmit­tel zu erproben, der nicht ein­fach als Knüp­pel­gar­de der Ober­schicht auftritt (so das Verdikt der Marx­is­ten), son­dern sein­er­seits die Massen neu zu mobil­isieren und zu organ­isieren sucht; entsprechend haben die intel­li­gen­ten Apolo­geten des Faschis­mus nach 1945 argu­men­tiert (Léon Degrelle, Mau­rice Bardèche). Jen­seits der aktuell poli­tis­chen Indi­en­st­nahme des Faschis­musvor­wurfs kön­nte man dann dur­chaus von ein­er Fort­set­zung des Faschis­mus in bes­timmten religiösen Bewe­gun­gen – soge­nan­nter »Hin­du-« oder »Islam­o­faschis­mus« – sprechen.

– — –

Zitate:

Die Ide­olo­gie des Faschis­mus und Nation­al­sozial­is­mus kann auch ver­standen wer­den als ein Aus­druck des europäis­chen Selb­st­be­wußt­seins zwis­chen den Kriegen – der dritte Weg zwis­chen der lib­eralen Demokratie des Kap­i­tal­is­mus und der kom­mu­nis­tis­chen Dik­tatur des Pro­le­tari­ats. … Die Kraft dieser drit­ten Posi­tion, ihre poli­tis­che Vir­u­lenz, bezog sie aus dem alten Kon­ti­nent, der sich tausend Jahre als Mitte der Geschichte ver­standen hat­te und nicht kampf­los das Feld räu­men mochte.
Johannes Gross

Also wird man verpflichtet sein, festzustellen, daß sich die Mehrzahl der Staat­en in der Geschichte seit den früh­esten Zeit­en mehr oder weniger “faschis­tisch” darstellt, da sie ja auf einem Prinzip der Autorität und der Hier­ar­chie grün­de­ten und nichts bewun­derten, was ein­er absoluten Demokratie, Lib­er­al­is­mus oder Sozial­is­mus gle­icht.
Julius Evola

– — –

Lit­er­atur:

  • Ren­zo De Felice: Die Deu­tun­gen des Faschis­mus, Göt­tin­gen 1980.
  • Ren­zo De Felice: Der Faschis­mus – ein Inter­view, Stuttgart 1977.
  • Armin Mohler: Der faschis­tis­che Stil [1973], zulet­zt in ders.: Das Gespräch. Über Linke, Rechte und Lang­weil­er, Dres­den 2001, S. 119–178.
  • Ernst Nolte: Der Faschis­mus in sein­er Epoche [1963], zulet­zt München 2000.
  • Stan­ley G. Payne: Geschichte des Faschis­mus. Auf­stieg und Fall ein­er europäis­chen Bewe­gung [1980/2001], zulet­zt Wien 2006.
  • Zeev Stern­hell: Die Entste­hung der faschis­tis­chen Ide­olo­gie. Von Sorel zu Mus­soli­ni, Ham­burg 2001.
  • Karl­heinz Weiß­mann: Der Nationale Sozial­is­mus. Ide­olo­gie und Bewe­gung 1890–1933, München 1998.
  • Karl­heinz Weiß­mann: Faschis­mus. Eine Klarstel­lung, Kaplak­en, Bd 18, Schnell­ro­da 2009.