Leviathan — Thomas Hobbes, 1651

Thomas Hobbes’€™ Hauptwerk aus dem Jahre 1651, das in ein­er englis­chen und ein­er lateinis­chen Ver­sion vor­liegt, gehört zu den bedeu­ten­den Grund­la­gen­werken der poli­tis­chen Philoso­phie über­haupt. Das Buch, dessen deutsch­er Titel das Gemeinte nicht ganz trifft, gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil han­delt vom Men­schen, der zweite vom Staat, der dritte von der Kirche und der vierte vom Reich der Fin­ster­n­is. Der Staat erscheint bei Hobbes als »sterblich­er Gott« und als kün­stlich­es Pro­dukt men­schlich­er Entschei­dun­gen, nicht als naturgegebene, organ­isch gewach­sene Insti­tu­tion.

Der Men­sch wird von Hobbes in Abstrak­tion von gesellschaftlichen Beziehun­gen als Indi­vidu­um mit bes­timmten Affek­ten und Trieben betra­chtet. Auf der genauen Beschrei­bung dieser anthro­pol­o­gis­chen Kom­po­nen­ten erhebt sich das Gerüst der poli­tis­chen The­o­rie. So strebt der Men­sch ein­er­seits inten­siv nach Macht, ist ander­er­seits aber auch stark von Furcht geprägt, die ihn let­ztlich dazu motiviert, den Naturzu­s­tand zu ver­lassen, weil dort man­gels ein­er Polizeige­walt die ständi­ge Furcht vor dem gewalt­samen Tod anwe­send ist.

Hobbes’™ Leis­tung beste­ht darin, daß er einige grundle­gende Kat­e­gorien des poli­tis­chen Denkens ein­führt, etwa den unhin­terge­hbaren Zusam­men­hang von Schutz und Gehor­sam, der vor allem die zen­trale Funk­tion des Staates, die Friedenssicherung nach innen, bet­rifft. Hobbes’€™ bekan­nter Satz, nicht die Wahrheit, son­dern die Autorität (des Staates) mache das Gesetz, zielt (trotz der aus dem zeit­geschichtlichen Kon­text her­aus klaren anti-römis­chen und anti-pres­by­te­ri­an­is­chen Ten­denz) auf die reli­gion­spoli­tis­che Neu­tral­isierung von allen kon­fes­sionellen Wahrheit­sansprüchen.

Die säku­lar begrün­dete Ein­hegung religiös­er Glauben­süberzeu­gun­gen und Organ­i­sa­tio­nen ist in nuce in Hobbes’€™ The­o­rem enthal­ten, wonach der (poli­tisch rel­e­vante) Unter­schied von Reli­gion und Aber­glauben einzig und allein auf den poli­tis­chen Entschei­dungswillen des Sou­veräns zurück­ge­ht. Aus den Ambivalen­zen, die mit dieser Posi­tion ver­bun­den sind, resul­tierten auch bis heute nicht abschließend gek­lärte Kon­tro­ver­sen über Hobbes’€™ eigene religiöse Überzeu­gun­gen.

Die umfan­gre­iche zweite Hälfte des Buch­es, die der Reli­gion gewid­met ist, wurde so von den einen als bloße Masker­ade eines zugrun­deliegen­den Mate­ri­al­is­mus und Athe­is­mus ver­standen, die mit dem Chris­ten­tum nicht kom­pat­i­bel sind (Leo Strauss), während andere den Satz »Jesus ist der Chris­tus«, den der Staat nach Hobbes zum Gegen­stand öffentlichen Beken­nt­niss­es machen darf, als Kern- und Angelpunkt der Hobbes’€™schen poli­tis­chen The­olo­gie betra­chteten (Carl Schmitt).

Weil Hobbes im Bürg­erkrieg mit guten Grün­den das größte poli­tis­che Übel erblick­te, zog er Sicher­heit, ver­standen als Schutz vor einem gewalt­samen Tod unter Bedin­gun­gen der Willkür, gegenüber ein­er kon­flik­to­ri­en­tierten Frei­heitsvorstel­lung vor. Daher legte Hobbes wenig Wert auf Gewal­tenteilung, wie er sich auch entsch­ieden gegen die von ihm als Gefahr betra­chtete Unter­schei­dung von ide­al­er (Monar­chie) und verderbter (Tyran­nis) Regierungs­form wandte, weil er in dieser, sein­er Auf­fas­sung nach bloß ver­balen bzw. polemis­chen Unter­schei­dung den Keim zum Bürg­erkrieg erblick­te.

Seinem eige­nen Ver­ständ­nis nach richtete sich Hobbes damit entsch­ieden gegen die poli­tis­che The­o­rie eines Aris­tote­les, aber auch gegen die aris­totelisch geprägte scholastis­che Ontolo­gie. Hobbes ver­trat indes keineswegs die Auf­fas­sung, alle Men­schen seien radikal böse – dies ist nicht der Sinn des homo homi­ni lupus (der Men­sch ist dem Men­schen ein Wolf) und des bel­lum omni­um con­tra omnes (Krieg aller gegen alle). Vielmehr basiert Hobbes’€™ Kalkül, das die Men­schen dazu motivierte, den Naturzu­s­tand zu ver­lassen und sich einem Sou­verän zu unter­w­er­fen, auf ein­er plau­si­blen Annahme: Es genügt die Präsenz ein­er kleinen Zahl von bösen Men­schen, die aber nicht von außen als solche erkennbar sind, um ein method­is­ches Miß­trauen gegenüber dem Näch­sten zu recht­fer­ti­gen. Die bloße Möglichkeit, daß sich die Wolf­s­natur des Men­schen in diesem Sinne durch­set­zen kann, ist daher immer in Rech­nung zu stellen.

Hobbes’€™ The­o­rie des Naturzu­s­tands und des Gesellschaftsver­trags (Kon­trak­tu­al­is­mus) ist kom­plex und im Detail nicht ohne innere Wider­prüche – es darf aber über alle Fein­heit­en der Diskus­sion nicht aus dem Auge ver­loren wer­den, daß sein Gedanken­ex­per­i­ment auf den ele­mentaren Zusam­men­hang von Schutz und Gehor­sam zielt. Poli­tis­che Bil­dung im Sinne Hobbes’€™ bedeutet Ein­sicht schaf­fen in die notwendi­gen Funk­tions­be­din­gun­gen neuzeitlich­er Staatlichkeit – angesichts der vie­len Unken­rufe über das »Ende des Staates«, die auf zweifel­haften geschicht­sphilosophis­chen Prämis­sen beruhen, kann diese Lehre des Thomas Hobbes nicht oft genug wieder­holt wer­den. Die bloße Möglichkeit eines Bürg­erkrieges bleibt auch bei schein­bar­er Geord­netheit der Ver­hält­nisse immer gegeben.

Hobbes’€™ Leviathan gehört zu den am inten­sivsten disku­tierten Werken der poli­tis­chen Philoso­phie über­haupt, denn Hobbes verknüpft sein poli­tis­ches Denken mit einem aus­geprägt nüchtern real­is­tis­chen Men­schen­bild, das man mit einem guten Schuß Überze­ich­nung als »schwarze Anthro­polo­gie« beze­ich­net hat. Hobbes schuf mit dem Buch jeden­falls einen der großen the­ol­o­gisch-poli­tis­chen Trak­tate, die aus den reli­gion­spoli­tis­chen Auseinan­der­set­zun­gen der frühen Neuzeit her­vorge­gan­gen sind.

Berühmtheit erlangte das kom­plexe und mythen­schaf­fende Fron­tispiz, das bis in die Gegen­wart immer wieder Anlaß zur Ausle­gung und damit unver­lier­bar­er Bestandteil des Bild­pro­gramms der Staatlichkeit wurde. Rudolf Burg­er hat seine Deu­tung des Hobbes’€™schen Titelkupfers mit dem Hin­weis auf die fort­dauernde Aktu­al­ität des Leviathan in ein­er Zeit ver­bun­den, in der die Gefahr beste­ht, daß der Staat als friedenss­tif­tende Notwendigkeit aus dem Auge ver­loren wird.

Hobbes’€™ am Staat und dem Prinzip der Staatlichkeit ori­en­tiertes Denken wurde im 20. Jahrhun­dert von kon­ser­v­a­tiv­en Denkern unter­schiedlich­er Art wieder aufgenom­men. Die Tat­sache, daß sich Autoren von Rang wie z.B. Leo Strauss, Carl Schmitt, Hel­mut Schel­sky, Michael Oakeshott oder Bernard Willms tief­gründig mit dem Werk des englis­chen Philosophen befaßten, legt Zeug­nis ab von seinem hohen Anre­gungspo­ten­tial. Wen die »Aus­sicht­en auf den Bürg­erkrieg« (Enzens­berg­er) beun­ruhi­gen, kann an Hobbes’€™ Leviathan, der sein­er­seits bei Thuky­dides in die Lehre gegan­gen war, nicht vor­beige­hen. Wie schon das Werk des Griechen über den Pelo­pon­nesis­chen Krieg ist auch der Leviathan des englis­chen Philosophen ein »Besitz­tum für immer« gewor­den, das so lange von Bedeu­tung sein wird, wie es Poli­tik gibt.

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Zitat:

Verträge ohne Schw­ert sind nur Worte.

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Aus­gabe:

  • Hrsg. v. Her­mann Klen­ner, Ham­burg: Mein­er 1996 (Philosophis­che Bib­lio­thek; 491)

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Lit­er­atur:

  • Wolf­gang Ker­st­ing (Hrsg.): Thomas Hobbes – Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirch­lichen und bürg­er­lichen Staates, Berlin 2008
  • Leo Strauss: Hobbes’€™ Poli­tis­che Wis­senschaft und zuge­hörige Schriften – Briefe, Stuttgart 2001
  • Bernard Willms: Thomas Hobbes. Das Reich des Leviathan, München 1987