Demokratie

Demokratie wurde schon in der griechis­chen Antike als Beze­ich­nung für eine “Volk­sh­errschaft” ver­wen­det. Es han­delt sich dabei um eine Ord­nung, die von der “Isonomie” — die nur eine pas­sive Rechts­gle­ich­heit aller Bürg­er kan­nte, keine Gle­ich­heit in bezug auf die aktive Mitbes­tim­mung — eben­so zu tren­nen war wie von der “Ochlokratie”, der Herrschaft des Pöbels. Zu den wesentlichen Merk­malen der Demokratie gehört die Annahme der “Iden­tität von Herrsch­ern und Beherrscht­en” (Carl Schmitt), das Mehrheit­sprinzip bei Wahlen und Abstim­mungen sowie die Ver­gabe von wichti­gen Ämtern auf Zeit.
 
Voraus­set­zun­gen für das Funk­tion­ieren der Demokratie waren die rel­a­tive Begren­ztheit der Polis, je länger je mehr auch die Möglichkeit, die poli­tisch täti­gen Bürg­er mit Diäten zu ver­sor­gen (und die Arbeit im wesentlichen von Sklaven tun zu lassen). Durchge­set­zt wurde diese Ver­fas­sungs­form nur in weni­gen der griechis­chen Stadt­staat­en. Das berühmteste Beispiel war Athen, das allerd­ings auch Anlaß für eine frühe Demokratiekri­tik bot. Deren wichtig­ste Argu­mente lauteten: Unfähigkeit des Volkes zu sachgerecht­en poli­tis­chen oder juris­tis­chen Entschei­dun­gen, Egal­i­taris­mus, Nei­gung zur Neg­a­ti­vauslese bei Wahlak­ten, Zer­störung gewach­sen­er Struk­turen und damit Vor­bere­itung der Tyran­nis, deren Träger sich auf den demos berufen kon­nten, der ihnen in sein­er Urteilss­chwäche fol­gte.
 
Diese Vor­be­halte haben noch in der Amerikanis­chen und der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion dazu geführt, daß man den neuen Staatssys­te­men keinen oder nur eingeschränk­ten demokratis­chen Charak­ter ver­lieh. Erst der Auf­stieg der Mas­sen­ge­sellschaft (Masse) im 19. Jahrhun­dert bere­it­ete den Siegeszug jen­er Demokratie vor, wie wir sie ken­nen, und zwar unter Bedin­gun­gen, die entschei­dend andere waren als die der Antike: Demokratie galt und gilt sei­ther als adäquate Ord­nung ein­er Gesellschaft ohne über­lieferte Gliederung, in der jed­er einzelne Träger des Gemein­we­sens sein muß und deshalb mit gle­ichen Recht­en — vor allem dem Wahlrecht — und Pflicht­en — vor allem der Wehrpflicht — aus­ges­tat­tet ist. Auch in bezug auf diese neue Form der Demokratie macht­en sich rasch Vor­be­halte gel­tend, die entwed­er prinzip­ieller Natur waren (Vertei­di­gung der über­liefer­ten Ord­nung oder des Leis­tung­sprinzips) oder wenig­stens Zweifel daran äußerten, daß Demokratie notwendi­ger­weise mit Frei­heit zusam­menge­he. Für diesen let­zten Aspekt entschei­dend waren die Beobach­tun­gen Alex­is de Toc­quevilles bei seinen Reisen durch die USA im Hin­blick auf das Prob­lem der Repräsen­ta­tion des Volk­swil­lens (Volk), den ver­bre­it­eten Kon­formis­mus und die “Tyran­nei der Mehrheit”.
 
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, dem Ver­schwinden des Zaren­re­ichs und der Nieder­lage der “autokratis­chen” Mit­telmächte war die “Demokratisierung” unwider­stehlich gewor­den. Aber in den fol­gen­den bei­den Jahrzehn­ten geri­et sie wegen der krisen­haften wirtschaftlichen Entwick­lung unter starken Druck. In der Mehrzahl der europäis­chen Staat­en wur­den die ger­ade einge­führten demokratis­chen Ver­fas­sun­gen wieder abgeschafft.
 
Noch am besten haben jene Staat­en die Schwierigkeit­en bewältigt, die über eine lange gewach­sene Demokrati­etra­di­tion ver­fügten — vor allem Eng­land und die skan­di­navis­chen Län­der sowie die Schweiz — und in denen bes­timmte, nicht­demokratis­che, Bestände (die Monar­chie, in manch­er Hin­sicht auch die Klas­sen­ge­sellschaft) geschützt waren, die die Sta­bil­ität des Ver­fas­sungs­ganzen förderten. Wo es keine so gün­sti­gen Bedin­gun­gen gab, dro­hte sich regelmäßig die radikale Alter­na­tive dieser “Organ­is­chen Demokratie” durchzuset­zen: die “Total­itäre Demokratie”. Der von Jacob Tal­mon geprägte Begriff beze­ich­net Sys­teme, die ihre Legit­im­ität zwar aus der Zus­tim­mung des Volkes ableit­en, aber den Sou­verän ein­er per­ma­nen­ten Mobil­isierung und ein­er Erziehung mit allen Mit­teln des pos­i­tiv­en (Pro­pa­gan­da) und neg­a­tiv­en Zwangs (Ter­ror) unter­w­er­fen. Die Sow­je­tu­nion eben­so wie das faschis­tis­che (Faschis­mus) und das NS-Regime kann man als Total­itäre Demokratie beschreiben.
 
Total­itäre Demokratie wer­den regelmäßig von ein­er Nomen­klatu­ra beherrscht, die keine Machtkonkur­renz duldet; Abstim­mung und Mehrheit­sprinzip hält sie nur pro for­ma ein und regiert mit dik­ta­torischen Meth­o­d­en. Die Regeln, die die Nomen­klatu­ra auf­stellt, müssen von ihr selb­st nicht befol­gt wer­den. Man hat es als beson­deren Vorzug des drit­ten Typus der Demokratie ange­se­hen, daß er diese Dys­funk­tion ver­mei­det. Gemeint ist die “Ali­men­tierende Demokratie”, also eine Demokratie, die ihre Bürg­er durch Ver­sorgung bindet. Ver­sorgt wird man entwed­er mit ökonomis­chen Vorteilen — so im Fall des Wohlfahrtsstaates der west­lichen Welt — oder ökonomis­chen Chan­cen — so im Fall des amerikanis­chen Sys­tems. Nach dem Kol­laps der Sow­je­tu­nion schien der End­sieg dieses Demokrati­ety­pus in greif­bare Nähe gerückt zu sein. Allerd­ings sind in seinem Inneren längst poli­tis­che Klassen ent­standen, die sich immer stärk­er abschot­ten und über effek­tive Möglichkeit­en ver­fü­gen, um Mit­be­wer­ber von der Ein­fluß­nahme fernzuhal­ten. Die in ihren Ver­fas­sun­gen fest­gelegten Grun­drechte und das Mehrheit­sprinzip wer­den regelmäßig in Frage gestellt, wenn das der Machter­hal­tung dient; im Namen aller möglichen demokratiefrem­den Prinzip­i­en hat man außer­dem Son­derge­set­ze und Priv­i­legien für kor­po­ra­tiv erfaßte Bevölkerung­steile geschaf­fen und eine Gesellschaft­späd­a­gogik entwick­elt, die zwar san­fter ist als die total­itäre, aber doch darauf aus­ge­ht, den Sou­verän nach einem Bild zu for­men, das nicht seinem Wesen entspricht. Das gilt vor allem in bezug auf den propagierten “Mul­ti­kul­tur­al­is­mus”, der die Homogen­ität des demos und damit eine wesentliche Voraus­set­zung für das Funk­tion­ieren der Demokratie zer­stört.
 
Neben diesem inneren Prob­lem der demokratis­chen Staaten­welt hat die Aufmerk­samkeit, die seit den 1990er Jahren auf den “Zusam­men­prall der Kul­turen” (Samuel Hunt­ing­ton) gelenkt wurde, Zweifel daran wach­sen lassen, daß nich­teu­ropäis­che Län­der über­haupt demokratiefähig sind, da ihnen wesentliche his­torische und men­tale Voraus­set­zun­gen (Antike, Chris­ten­tum, Aufk­lärung) fehlen. Fak­tisch hat sich gezeigt, daß die Regime in Afri­ka, Lateinameri­ka und Teilen Asiens entwed­er das Mod­ell der Total­itären Demokratie übernehmen — das gilt auch und ger­ade für die islamistis­chen Regime, die teil­weise erhe­blichen Rück­halt im demos haben — oder von ein­er Dik­tatur in die andere wech­seln. Soweit sie in der Lage sind, effek­tive ökonomis­che Sys­teme zu entwick­eln, wird ihr gesteigertes Selb­st­be­wußt­sein von manchen Beobachtern dahinge­hend gedeutet, daß hier die ersten “Post-Demokra­tien” entste­hen, die den Beginn eines “nachdemokratis­chen” Zeital­ters anzeigen.

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Zitate:

Je demokratis­ch­er eine Demokratie, desto gewiss­er negiert sie sich selb­st. Wie die Frei­heit der Men­schen, zu der sie gehört, war sie je ihr eigen­er Feind.
Max Horkheimer
 
Man hat sagen kön­nen, daß die Repub­lik von Weimar eine Demokratie ohne Demokrat­en war. Wir leben heute in oli­garchis­chen Gesellschaften, in denen jed­er Demokrat ist, aber in denen es keine Demokratie mehr gibt.
Alain de Benoist
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Lit­er­atur: