Rohrmoser, Günter, Sozialphilosoph, 1927–2008

Gün­ter Rohrmoser wurde am 27. Novem­ber 1927 in Bochum geboren. Rohrmoser gehörte der leg­endären Schule von Joachim Rit­ter in Mün­ster an. Er studierte in der für ihn kennze­ich­nen­den Band­bre­ite zugle­ich Evan­ge­lis­che The­olo­gie bei Carl Heinz Ratschow und Volk­swirtschaft­slehre bei Alfred Müller-Arma­ck. In einem tur­bu­len­ten Pro­mo­tionsver­fahren, in dem Rit­ter und der Ger­man­ist Ben­no von Wiese auf die Höch­st­note votierten, die Anglis­ten die Arbeit scheit­ern lassen woll­ten, wurde er mit ein­er Studie über die Shake­speare-Rezep­tion in der deutschen Geis­tes­geschichte in Mün­ster pro­moviert. Sie führte die Gun­dolf­sche Shake­speare-Deu­tung auf den geschichtlichen Zeit­en­bruch der Epoche Shake­spear­es zurück.

Die Habil­i­ta­tion fol­gte 1961 in Köln bei Lud­wig Land­grebe mit ein­er Arbeit über den jun­gen Hegel. In ihr legt Rohrmoser den Grund zu sein­er lebenslan­gen reli­gions- und recht­sphilosophis­chen Zeit­di­ag­nos­tik, die auf Hegel rekur­ri­ert. Mit Rit­ter ver­ste­ht er Hegel als Denker der Frei­heit, der aber zugle­ich ihre dro­hende Selb­stzer­störung reflek­tiert habe. Rohrmoser lehrte zunächst als Pro­fes­sor an der Päd­a­gogis­chen Hochschule in Mün­ster und als Pri­vat­dozent in Köln. Dort sind seine mit großem rhetorischen Schwung und weit­ge­hend frei gehal­te­nen Vor­lesun­gen früh ein Mag­net gewe­sen. Zeitweise hat­te er an die 1000 Hör­er.  Rohrmoser nahm schon in den frühen sechziger Jahren die Auseinan­der­set­zung mit dem Marx­is­mus und der Kri­tis­chen The­o­rie offen­siv auf. Von Hegel her hat­te er einen Maßstab, um die marx­is­tis­che und neo­marx­is­tis­che The­o­riebil­dung zu kon­terkari­eren.

Zunächst eher der SPD nah­este­hend, wurde er, nach­dem sich eine Beru­fung nach Köln auch durch kol­le­giale Intri­gen des Köl­ner Ordi­nar­ius Volk­mann-Schluck zer­schla­gen hat­te, 1976 durch den dama­li­gen Baden Würt­tem­ber­gis­chen Min­is­ter­präsi­den­ten Hans Fil­binger als Ordi­nar­ius für Sozial­philoso­phie an die Uni­ver­sität Hohen­heim berufen, wo er bis zu seinem Tode lehrte und wo ihm, nach anfänglichen Schwierigkeit­en durch die ver­faßte linke Stu­den­ten­schaft, ger­ade aus dem Stuttgarter Bürg­er­tum, eine große Hör­erge­meinde zuwuchs. Seit 1979 war Rohrmoser spir­i­tus rec­tor bei der Begrün­dung des Stu­dien­zen­trums Weik­er­sheim durch Hans Fil­binger.

Aus den zahlre­ichen ein­flußre­ichen Vorträ­gen und den Vor­lesun­gen ent­stand ein beachtlich­es Werk, das – ohne Ten­den­zen zur Reak­tion, und in stark­er Abgren­zung gegenüber der Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion, einen christlichen Kon­ser­vatismus für die Mod­erne begrün­den wollte. Hegel, später auch Luther, waren dabei Rohrmosers wichtig­ste Gewährsmän­ner.

Er nutzte das große Erbe der Geis­tes­geschichte und ihre Tra­di­tio­nen aber als einen Spiegel, um die Ver­w­er­fun­gen der Gegen­wart bess­er zu erken­nen. Der epochale Stre­it zwis­chen Recht- und Linkshegelian­ern war ihm in der Folge von Kojève der Schlüs­sel für die ide­ol­o­gis­chen Frontlin­ien des 20. Jahrhun­derts. Auch Carl Schmitts Lehre vom Kat­e­chon­ten und der Hegelsche Begriff eines sit­tlichen Staates, der die uni­ver­sale Frei­heit der mod­er­nen Welt anerken­nt, zugle­ich aber über­pos­i­tiv die Tra­di­tion­slin­ien der Herkun­ft recht­fer­tigt, waren für Rohrmoser zen­tral.

Im Sinne Hegels begriff er Philoso­phie als „ihre Zeit in Gedanken erfasst“. Rohrmoser war davon überzeugt, daß der Kul­tur­rev­o­lu­tion von 1968 eine neue kon­ser­v­a­tive Kul­tur­rev­o­lu­tion ent­ge­gen­zuset­zen sei. Daß die „geistige und moralis­che Wende“, die Hel­mut Kohl im Vor­feld der Bun­destagswahlen 1983 in Aus­sicht gestellt hat­te, aus­blieb, wurde für Rohrmoser Indiz eines Debakels und der geisti­gen Leere der bürg­er­lichen Parteien. In dieser Diag­nose sollte er sich in den fol­gen­den Jahrzehn­ten weit­er bestätigt sehen. Nach dem Ende des Ost­blocks erkan­nte er scharf­sichtig, daß der Lib­er­al­is­mus nicht (wie Fukuya­ma Glauben machen wollte) das „Ende der Geschichte“ beze­ichne, son­dern im Zeital­ter sein­er Durch­set­zung in seine tief­ste Krise komme. Dies war für Rohrmoser Indiz des „Ern­st­falls“. Beson­deres Gewicht legte er nach 1989 auf die geistige Zwiesprache zwis­chen Russen und Deutschen, in seinem Sinne: den „meta­ph­ysis­chen Völk­ern“.

Rohrmoser starb am 16. Sep­tem­ber 2008 in Stuttgart.

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Zitat:

Hegel kon­sta­tiert, wie er auch selb­st gesagt hat, nicht nur, son­dern er voll­bringt eine Rev­o­lu­tion im christlichen Bewußt­sein. Hegel hat begrif­f­en, daß die mod­erne Welt eine Rev­o­lu­tion des christlichen Selb­st­be­wußt­seins notwendig macht.

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Schriften:

  • Sub­jek­tiv­ität und Verd­inglichung. The­olo­gie und Gesellschaft im Denken des jun­gen Hegel, Güter­sloh 1961
  • Das Elend der kri­tis­chen The­o­rie. Theodor W. Adorno, Her­bert Mar­cuse, Jür­gen Haber­mas, Freiburg/Br. 1970
  • Zäsur. Wan­del des Bewusst­seins, Stuttgart 1980
  • Reli­gion und Poli­tik in der Krise der Mod­erne, Graz/ Wien/ Köln 1989
  • Der Ern­st­fall. Zur Krise unser­er lib­eralen Repub­lik, Berlin 1994
  • Geistige Wende. Christlich­es Denken als Fun­da­ment des Mod­er­nen Kon­ser­v­a­tivis­mus, München 2000
  • Kul­tur­rev­o­lu­tion in Deutsch­land. Philosophis­che Inter­pre­ta­tio­nen der geisti­gen Sit­u­a­tion unser­er Zeit, hrsg. von Har­ald Seu­bert, Gräfelfing/München 2008
  • Glaube und Ver­nun­ft am Aus­gang der Mod­erne. Hegel und die Philoso­phie des Chris­ten­tums, mit einem Vor- und Nach­wort hrsg. von Har­ald Seu­bert, St. Ottilien 2009

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Lit­er­atur:

  • Philipp Jenninger/ Rolf W. Peter/ Har­ald Seu­bert (Hrsg.): Tamen! Gegen den Strom. Gün­ter Rohrmoser zum 80. Geburt­stag, Stuttgart 2007