Menschen inmitten von Ruinen — Julius Evola, 1953

Drei Jahre, nach­dem er 1945 in Wien bei einem Bombe­nan­griff ver­wun­det wor­den war, kehrte Julius Evola, von der Hüfte abwärts gelähmt, in seine Heimat Ital­ien zurück. Dort traf er auf Grup­pen junger Men­schen, die von ihm wis­sen woll­ten: »Was tun?« Men­schen inmit­ten von Ruinen ent­stand als Antwort auf diese Frage. Evola entwirft hier keine poli­tis­che, ökonomis­che oder sozi­ol­o­gis­che Dok­trin im eigentlichen Sinn, son­dern legt vielmehr Ori­en­tierun­gen fest, die er für die wesentlichen hält, in Form von »Weisun­gen« exis­ten­tieller Natur. So erschließt sich auch der Titel des Buch­es: In der unmit­tel­baren Folge des Zweit­en Weltkriegs richtete Evola seine Worte an Men­schen, die ihr Leben »inmit­ten von Ruinen« führten.

Getreu seinem Welt­bild betont Evola, daß die Poli­tik keineswegs autonom ist, son­dern sich ethisch und meta­ph­ysisch begrün­den muß: Für ihn ist sie eine Anwen­dung von Vorschriften aus der »Ober­welt«. »Die Grund­lage eines jeden echt­en Staates«, erk­lärt er, »ist die Tran­szen­denz seines ihn gestal­tenden Prinzips«. Evola war bekan­ntlich ein gren­zen­los­er Bewun­der­er des Staates – jenes »echt­en Staates«, ohne den, wie er glaubte, die Nation und selb­st das Volk nicht beste­hen kön­nen. In diesem Punkt ver­tritt Evola eine Auf­fas­sung, die im Wider­spruch zu den The­o­retik­ern des »Volks­geists« ste­ht: Das Volk ist für ihn bloße »Masse«, die Nation Inbe­griff eines »weib­lich-müt­ter­lichen« Nat­u­ral­is­mus. Der Staat hinge­gen muß sich auf höheren geistig-meta­ph­ysis­chen Prinzip­i­en grün­den. Aus­ge­hend von den Prinzip­i­en eines« inte­gralen Tra­di­tion­al­is­mus» zeigt Evola die Grundzüge ein­er Staats­dok­trin auf, die einen Ausweg aus dem Ver­falls- und Auflö­sung­sprozeß der Mod­erne weisen soll.

»Die Idee, und nur die Idee, darf … das echte Vater­land sein.« Die Elite, die er in Gestalt eines »Ordens« oder »Män­ner­bun­des« von »Erleuchteten« erneuern will, ist die Aris­tokratie ein­er »Rasse des Geistes«, eines beson­deren Men­schen­typs, der einen Stil der »aktiv­en Indif­ferenz« pflegt. Der wahre Herrsch­er ist für ihn niemals ein »ple­be­jis­ch­er« Pop­ulist, son­dern offen­bart sich durch seine bloße Präsenz als Verkör­pe­rung jen­er »höheren Idee«, die den Staat besee­len muß. Als Befür­worter der Monar­chie set­zt Evola den Kon­ser­vatismus mit der aris­tokratis­chen, hier­ar­chis­chen, elitären Idee gle­ich, die einst das Fun­da­ment der abendländis­chen Tra­di­tion bildete.

Die Rolle der Obrigkeit und des »echt­en Staates«, der Protest gegen die »Dämonie der Wirtschaft«, die Rückbesin­nung auf einen »unper­sön­lichen« Stil, die Kri­tik an Marx­is­mus und Bürg­er­lichkeit, die Bil­dung ein­er neuen Elite, die Ablehnung des his­toris­tis­chen Geschichts­bildes – auf diese und andere The­men geht Evola aus­führlich im ersten Teil seines Buch­es ein. Der zweite Teil ist dis­parater – das Stän­dewe­sen wird dort eben­so behan­delt wie der »okkulte Krieg« – und aus heutiger Sicht in vie­len Teilen über­holt. Evola ver­tritt manchen Stand­punkt, der bei einem recht­en Autor ungewöhn­lich anmutet, so etwa in sein­er Kri­tik an Fam­i­lie und Geburten­förderung, die er als Aus­druck der »Herrschaft der Masse« deutet. Man beachte zudem seine »pos­i­tive« Kri­tik des Faschis­mus und Nation­al­sozial­is­mus.

Men­schen inmit­ten von Ruinen wird oft als »reak­tionäres« Buch par excel­lence zitiert. Auf jeden Fall ist es das Werk, in dem Evola seine poli­tis­chen Ansicht­en am deut­lich­sten niedergeschrieben hat. 1953 in Rom mit ein­er Ein­führung von Fürst Vale­rio Borgh­ese veröf­fentlicht, hat es sei­ther zahlre­iche Neuau­fla­gen erlebt. Für heutige Leser liegt der Wert des Buch­es vor allem in den darin enthal­te­nen Über­legun­gen zur Ethik. Evola war sich des Para­dox­es bewußt, in einem Zeital­ter der voll­ständi­gen Auflö­sung auf eine Rück­kehr zum »echt­en Staat« hof­fen zu müssen. Bere­its 1961 war er in Den Tiger reit­en zu dem Schluß gekom­men, daß kein poli­tis­ches Han­deln im »tra­di­tionellen« Sinn den Nieder­gang ver­hin­dern könne, und hat­te deshalb eine Abkehr vom Poli­tis­chen gefordert: Men­schen der Tra­di­tion, die sich den Ein­flüssen der Mod­erne entziehen wollen, bleibe keine andere Wahl, als sich in ein­er Hal­tung des indi­vidu­ellen Wider­stands zu üben.

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Zitat:

Das, was es zu »kon­servieren« und »rev­o­lu­tionär« zu vertei­di­gen gilt, ist eine all­ge­meine Lebens- und Staat­san­schau­ung auf der Grund­lage höher­er Werte und Inter­essen, die ein­deutig die Ebene der Wirtschaft und alles dessen, was sich in den Begrif­f­en wirtschaftlich­er Klassen beze­ich­nen läßt, über­steigen.

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Lit­er­atur:

  • Alain de Benoist: Julius Evola – réac­tion­naire rad­i­cal et méta­physi­cien engagé. Analyse cri­tique de la pen­sée poli­tique de Julius Evola, in: Nou­velle Ecole (2003) 53/54
  • Jean-Paul Lip­pi: Julius Evola. Méta­physi­cien et penseur poli­tique, Lau­sanne 1998