Wyndham Lewis, geboren am 18. November 1882 vor Amherst (Kanada), gehört als Schriftsteller und Maler zu den wichtigsten Vertretern der künstlerischen Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und gilt als genuiner Bohemien unter Pseudo-Bohemiens (Russell Kirk). Lewis’ Produktivität war groß: Er verfaßte zahlreiche Romane und theoretische sowie programmatische Schriften von teilweise erheblichem Umfang, machte sich indes auf allen Seiten Feinde, so daß er letztlich eine Existenz an den Rändern des Literatur- und Kulturbetriebs führte. Das Erlebnis des Ersten Weltkrieges, an dem Lewis als Artillerist in Flandern teilnahm, war für seine Weltsicht prägend und trug entscheidend zu seiner kulturkritischen Neigung zur Satire bei (siehe dazu seine Autobiographie Blasting and Bombardiering), aber auch zu seiner entschiedenen Ablehnung des Krieges.
Im Jahre 1931 publizierte er auf der Basis von Reportagen, die während eines Deutschlandaufenthaltes entstanden, ein erstes Buch über Hitler, in dem er diesen u.a. als „Mann des Friedens“ vorstellte, was Lewis’ Reputation später dauerhaften Schaden zufügen sollte. Mit seinem Buch The Hitler Cult von 1939 und anderen Schriften revidierte er indes seine früheren Fehleinschätzungen und nahm deutlich gegen den Antisemitismus Stellung.
Die geistige Signatur des äußerst vielseitigen Lewis läßt sich nicht leicht auf einen Nenner bringen, zu weit gefächert waren seine Interessen und künstlerischen Ausdrucksformen in verschiedenen Medien. Als Protagonist teils kurzlebiger Kunstströmungen wie des Vortizismus war er ebenso bedeutsam wie als idiosynkratischer Kulturkritiker der modernen Massengesellschaft, als Maler oder auch als Literaturkritiker, der sich z. B. mit der Rolle des Helden in Shakespeares Dramen befaßte und dazu intensiv das politische Denken Machiavelli studierte. Lewis’ unorthodoxe Weltanschauung war einerseits stark misanthropisch sowie misogyn, also von einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber dem Menschen geprägt, andererseits auch entschieden untraditionell, etwa in seiner Ablehnung des Christentums. Dadurch bewahrte er sich einen durch keine Denkverbote eingeschränkten Geist.
Wyndham Lewis war ein begnadeter Satiriker, der sich in seinen Romanen (z. B. The Revenge for Love [1937]; dt. Rache für Liebe) die intellektuellen Moden der Zeit vorknöpfte und deshalb mit Swift, Cervantes und Rabelais auf eine Stufe gestellt wurde (Roy Campbell). So kritisierte er in The Apes of God (1930) den Geist der Bloomsbury-Gruppe (mit Virginia Wolf an den Spitze) den auch sein Freund Roy Campbell in dem Gedicht The Georgiad (1931) zum Ziel seiner Attacken machen sollte; allerdings mit dem negativen Effekt seiner faktischen Marginalisierung im Kulturleben.
In seinem Buch Die Kunst regiert zu werden (1926) entfaltet Lewis ein umfassendes Arsenal von Gedanken, die sich mit dem in der politischen Theorie weithin vernachlässigten Problem befassen, wie man sich als regierter Mensch in einer modernen Massengesellschaft zu verhalten hat bzw. verhalten kann. Nicht die arcana imperii sind das Thema von Lewis, sondern die Mechanismen des Regiertwerdens. Regiert zu werden – und das oftmals auch noch schlecht genug – ist das Signum unserer Zeit, unser unentrinnbares Schicksal, weshalb das Regiertwerden eine Schlüsselqualifikation im eigentlichen Sinne darstellt. Lewis betont, daß in der Moderne Verantwortungslosigkeit und Freiheit zu Synonymen geworden seien; die meisten Menschen wollten sich der Verantwortung entziehen und statt dessen Ruhe und Luxus genießen. Der Mensch an sich ist nach Lewis kein politisches Lebewesen; dies treffe nur auf eine Minderheit von Führern zu. Von größter Aktualität sind Lewis’ Bemerkungen über den demokratischen „pädagogischen Staat“, der mit seiner „Doktrin dessen, was die breite Öffentlichkeit will“, der Bevölkerung auf die Nerven gehe. Die „demokratische“ Regierungsform sei viel effektiver als die Anwendung physischer Gewalt, weil es den wenigsten gelinge, sich dem ideologischen Apparat zu entwinden, der durch Erziehung und Suggestion über die Medien wirke. Einsichten wie diese machen sein Buch, trotz mancher Zeitbedingtheiten und Idosynkrasien, zu einer auch im 21. Jahrhundert noch relevanten Lektüre.
In Time and Western Man (1927) findet man u.a. eine Auseinandersetzung mit Spengler; in seinem Buch America and Cosmic Man (1948), das u.a. von Saul Bellow geschätzt wurde, betrachtete er Amerika als das Labor, in dem der neue Mensch ohne Geschichte geschaffen würde. In späteren Jahren war Lewis neben Russell Kirk auch mit dem genialischen Medientheoretiker Marshall McLuhan befreundet, der Lewis’ Bedeutung schon in den 1950er Jahren durchaus treffend kennzeichnete: „Seit dreißig und mehr Jahren ist Wyndham Lewis ein Armeekorps aus einem Mann, das gegen jene Kräfte Widerstand leistet, welche Kunst, Wissenschaft und Philosophie dazu verwenden wollen, unsere Welt wieder zu dem nachtdunklen Schoß werden zu lassen, aus dem sie nach Auffassung jener Kräfte hervorgegangen sind.“ Ezra Pound zufolge ist Lewis der einzige englische Schriftsteller, der mit Dostojewski verglichen werden kann. Seine Werke sind dennoch bisher nur sehr spärlich ins Deutsche übersetzt worden. Caspar von Schrenck-Notzing gehört zu den wenigen, die im deutschen Sprachraum emphatisch auf Lewis hingewiesen haben.
Wyndham Lewis verstarb am 7. März 1957 in London.
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Zitat:
Wenn wie in der Gegenwart das Leben seine äußere Schönheit verliert und die ganzen Rituale der Größe verschwunden sind, verfallen Geist und Charakter allerorten.
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Schriften:
- Time and Western Man, London 1927
- The Apes of God, London 1930
- Tarr, Leipzig 1931
- Hitler und sein Werk in englischer Beleuchtung, Berlin 1932
- Blasting and Bombardiering, London 1937
- Rache für Liebe, Essen 1938
- The Hitler Cult, London 1939
- Der mysteriöse John Bull. Ein Tugendspiegel des Engländers, Essen 1939
- America and Cosmic Man, London 1948
- Rude Assignment, London 1950
- Die Kunst regiert zu werden; Recklinghausen 2004
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Literatur:
- Ulrich Broich: Ezra Pound, Shaw und Wyndham Lewis als Bewunderer von Lenin und Mussolini, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 50 (2000)
- Roy Campbell: Wyndham Lewis, Pietermaritzburg 1985
- Marshall McLuhan: Wyndham Lewis – His Theory of Art and Communication, in: Eric McLuhan / Marschall McLuhan, Theories of Communication, New York 2011
- Jeffrey Meyers: The Enemy. A Biography of Wyndham Lewis, London 1980
- Paul O’Keefe: Some Sort of Genius. A Life of Wyndham Lewis, London 2000
- Caspar von Schrenck-Notzing: Wyndham Lewis (1882–1957), in: Criticón (1997), Heft 154
- Wyndham Lewis (1882–1957), Ausstellungskatalog der Fundación Juan March, Madrid 2010