Lewis, Percy Wyndham — Schriftsteller, 1882–1957

Wyn­d­ham Lewis, geboren am 18. Novem­ber 1882 vor Amherst (Kana­da), gehört als Schrift­steller und Maler zu den wichtig­sten Vertretern der kün­st­lerischen Avant­garde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts und gilt als gen­uin­er Bohemien unter Pseu­do-Bohemiens (Rus­sell Kirk). Lewis’ Pro­duk­tiv­ität war groß: Er ver­faßte zahlre­iche Romane und the­o­retis­che sowie pro­gram­ma­tis­che Schriften von teil­weise erhe­blichem Umfang, machte sich indes auf allen Seit­en Feinde, so daß er let­ztlich eine Exis­tenz an den Rän­dern des Lit­er­atur- und Kul­turbe­triebs führte. Das Erleb­nis des Ersten Weltkrieges, an dem Lewis als Artillerist in Flan­dern teil­nahm, war für seine Welt­sicht prä­gend und trug entschei­dend zu sein­er kul­turkri­tis­chen Nei­gung zur Satire bei (siehe dazu seine Auto­bi­ogra­phie Blast­ing and Bom­bardier­ing), aber auch zu sein­er entsch­iede­nen Ablehnung des Krieges.

Im Jahre 1931 pub­lizierte er auf der Basis von Reporta­gen, die während eines Deutsch­landaufen­thaltes ent­standen, ein erstes Buch über Hitler, in dem er diesen u.a. als „Mann des Friedens“ vorstellte, was Lewis’ Rep­u­ta­tion später dauer­haften Schaden zufü­gen sollte. Mit seinem Buch The Hitler Cult von 1939 und anderen Schriften rev­i­dierte er indes seine früheren Fehlein­schätzun­gen und nahm deut­lich gegen den Anti­semitismus Stel­lung.

Die geistige Sig­natur des äußerst viel­seit­i­gen Lewis läßt sich nicht leicht auf einen Nen­ner brin­gen, zu weit gefächert waren seine Inter­essen und kün­st­lerischen Aus­drucks­for­men in ver­schiede­nen Medi­en. Als Pro­tag­o­nist teils kur­zlebiger Kun­st­strö­mungen wie des Vor­tizis­mus war er eben­so bedeut­sam wie als idiosynkratis­ch­er Kul­turkri­tik­er der mod­er­nen Mas­sen­ge­sellschaft, als Maler oder auch als Lit­er­aturkri­tik­er, der sich z. B. mit der Rolle des Helden in Shake­spear­es Dra­men befaßte und dazu inten­siv das poli­tis­che Denken Machi­avel­li studierte. Lewis’ unortho­doxe Weltan­schau­ung war ein­er­seits stark mis­an­thropisch sowie misog­yn, also von ein­er gehöri­gen Por­tion Skep­sis gegenüber dem Men­schen geprägt, ander­er­seits auch entsch­ieden untra­di­tionell, etwa in sein­er Ablehnung des Chris­ten­tums. Dadurch bewahrte er sich einen durch keine Denkver­bote eingeschränk­ten Geist.

Wyn­d­ham Lewis war ein beg­nade­ter Satirik­er, der sich in seinen Roma­nen (z. B. The Revenge for Love [1937]; dt. Rache für Liebe) die intellek­tuellen Mod­en der Zeit vorknöpfte und deshalb mit Swift, Cer­vantes und Rabelais auf eine Stufe gestellt wurde (Roy Camp­bell). So kri­tisierte er in The Apes of God (1930) den Geist der Blooms­bury-Gruppe (mit Vir­ginia Wolf an den Spitze) den auch sein Fre­und Roy Camp­bell in dem Gedicht The Geor­giad (1931) zum Ziel sein­er Attack­en machen sollte; allerd­ings mit dem neg­a­tiv­en Effekt sein­er fak­tis­chen Mar­gin­al­isierung im Kul­turleben.

In seinem Buch Die Kun­st regiert zu wer­den (1926) ent­fal­tet Lewis ein umfassendes Arse­nal von Gedanken, die sich mit dem in der poli­tis­chen The­o­rie wei­thin ver­nach­läs­sigten Prob­lem befassen, wie man sich als regiert­er Men­sch in ein­er mod­er­nen Mas­sen­ge­sellschaft zu ver­hal­ten hat bzw. ver­hal­ten kann. Nicht die arcana imperii sind das The­ma von Lewis, son­dern die Mech­a­nis­men des Regier­twer­dens. Regiert zu wer­den – und das oft­mals auch noch schlecht genug – ist das Signum unser­er Zeit, unser unen­trinnbares Schick­sal, weshalb das Regier­twer­den eine Schlüs­selqual­i­fika­tion im eigentlichen Sinne darstellt. Lewis betont, daß in der Mod­erne Ver­ant­wor­tungslosigkeit und Frei­heit zu Syn­ony­men gewor­den seien; die meis­ten Men­schen woll­ten sich der Ver­ant­wor­tung entziehen und statt dessen Ruhe und Luxus genießen. Der Men­sch an sich ist nach Lewis kein poli­tis­ches Lebe­we­sen; dies tre­ffe nur auf eine Min­der­heit von Führern zu. Von größter Aktu­al­ität sind Lewis’ Bemerkun­gen über den demokratis­chen „päd­a­gogis­chen Staat“, der mit sein­er „Dok­trin dessen, was die bre­ite Öffentlichkeit will“, der Bevölkerung auf die Ner­ven gehe. Die „demokratis­che“ Regierungs­form sei viel effek­tiv­er als die Anwen­dung physis­ch­er Gewalt, weil es den wenig­sten gelinge, sich dem ide­ol­o­gis­chen Appa­rat zu entwinden, der durch Erziehung und Sug­ges­tion über die Medi­en wirke. Ein­sicht­en wie diese machen sein Buch, trotz manch­er Zeitbe­d­ingth­eit­en und Idosynkrasien, zu ein­er auch im 21. Jahrhun­dert noch rel­e­van­ten Lek­türe.

In Time and West­ern Man (1927) find­et man u.a. eine Auseinan­der­set­zung mit Spen­gler; in seinem Buch Amer­i­ca and Cos­mic Man (1948), das u.a. von Saul Bel­low geschätzt wurde, betra­chtete er Ameri­ka als das Labor, in dem der neue Men­sch ohne Geschichte geschaf­fen würde. In späteren Jahren war Lewis neben Rus­sell Kirk auch mit dem genialis­chen Medi­en­the­o­retik­er Mar­shall McLuhan befre­un­det, der Lewis’ Bedeu­tung schon in den 1950er Jahren dur­chaus tre­f­fend kennze­ich­nete: „Seit dreißig und mehr Jahren ist Wyn­d­ham Lewis ein Armeeko­rps aus einem Mann, das gegen jene Kräfte Wider­stand leis­tet, welche Kun­st, Wis­senschaft und Philoso­phie dazu ver­wen­den wollen, unsere Welt wieder zu dem nacht­dun­klen Schoß wer­den zu lassen, aus dem sie nach Auf­fas­sung jen­er Kräfte her­vorge­gan­gen sind.“ Ezra Pound zufolge ist Lewis der einzige englis­che Schrift­steller, der mit Dos­to­jew­s­ki ver­glichen wer­den kann. Seine Werke sind den­noch bish­er nur sehr spär­lich ins Deutsche über­set­zt wor­den. Cas­par von Schrenck-Notz­ing gehört zu den weni­gen, die im deutschen Sprachraum emphatisch auf Lewis hingewiesen haben.

Wyn­d­ham Lewis ver­starb am 7. März 1957 in Lon­don.

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Zitat:

Wenn wie in der Gegen­wart das Leben seine äußere Schön­heit ver­liert und die ganzen Rit­uale der Größe ver­schwun­den sind, ver­fall­en Geist und Charak­ter allerorten.

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Schriften:

  • Time and West­ern Man, Lon­don 1927
  • The Apes of God, Lon­don 1930
  • Tarr, Leipzig 1931
  • Hitler und sein Werk in englis­ch­er Beleuch­tung, Berlin 1932
  • Blast­ing and Bom­bardier­ing, Lon­don 1937
  • Rache für Liebe, Essen 1938
  • The Hitler Cult, Lon­don 1939
  • Der mys­ter­iöse John Bull. Ein Tugend­spiegel des Englän­ders, Essen 1939
  • Amer­i­ca and Cos­mic Man, Lon­don 1948
  • Rude Assign­ment, Lon­don 1950
  • Die Kun­st regiert zu wer­den; Reck­ling­hausen 2004

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Lit­er­atur:

  • Ulrich Broich: Ezra Pound, Shaw und Wyn­d­ham Lewis als Bewun­der­er von Lenin und Mus­soli­ni, in: Ger­man­isch-Roman­is­che Monatss­chrift 50 (2000)
  • Roy Camp­bell: Wyn­d­ham Lewis, Pieter­mar­itzburg 1985
  • Mar­shall McLuhan: Wyn­d­ham Lewis – His The­o­ry of Art and Com­mu­ni­ca­tion, in: Eric McLuhan / Marschall McLuhan, The­o­ries of Com­mu­ni­ca­tion, New York 2011
  • Jef­frey Mey­ers: The Ene­my. A Biog­ra­phy of Wyn­d­ham Lewis, Lon­don 1980
  • Paul O’Keefe: Some Sort of Genius. A Life of Wyn­d­ham Lewis, Lon­don 2000
  • Cas­par von Schrenck-Notz­ing: Wyn­d­ham Lewis (1882–1957), in: Crit­icón (1997), Heft 154
  • Wyn­d­ham Lewis (1882–1957), Ausstel­lungskat­a­log der Fun­dación Juan March, Madrid 2010