Peter Sloterdijk — Philosoph, geboren 1947

Peter Slo­ter­dijk, der in den frühen 1980er Jahren mit dem Best­seller Kri­tik der zynis­chen Ver­nun­ft bekan­nt wurde, begann sein schrift­stel­lerisches Werk im Umfeld der Kri­tis­chen The­o­rie. Nicht von unge­fähr spricht man vom „let­zten Kult­buch der APO-Gen­er­a­tion“ (Karl-Heinz Götze). Mit der Frank­furter Schule teilte Slo­ter­dijk die Kri­tik an der Veren­gung des Ratio­nalen hin zur bloßen „instru­mentellen Ver­nun­ft“, in sein­er Beschrei­bung: zum Zynis­chen. Die bei­den Bände erörtern die Haupt­vari­anten dieser Hal­tung, die vom Mil­itärzynis­mus bis zum Wis­senszynis­mus reichen. Sie wer­den mit der Gestalt des Kynikers, der eine pro­voka­tive Hal­tung mit Bedürfnis­losigkeit verbindet, kon­trastiert. In Slo­ter­dijks tour d’horizon durch die jün­gere Geschichte legt er auf die Zeit der Weimar­er Repub­lik beson­deren Nach­druck. Auf­fäl­lig ist Slo­ter­dijks Wider­willen gegen Rechte und Neokon­ser­v­a­tive. Diesen Aus­gangspunkt muss man sich verge­gen­wär­ti­gen, wenn man die Grat­wan­derun­gen des amtieren­den Rek­tors der Karl­sruher „Staatlichen Hochschule für Gestal­tung“ unter­sucht.

Nach eini­gen weniger beachteten Schriften legte der Philosoph um die Jahrtausendwende mit seinem dreibändi­gen Sphären­pro­jekt wieder ein Opus Mag­num vor. Statt der sub­stanzmeta­ph­ysis­chen Frage („Was ist der Men­sch?“) stellt er die topol­o­gis­che („Wo ist der Men­sch?“). Von der prä­na­tal­en „Klausur in der Mut­ter“ im ersten Band („Blasen“) schlägt die mon­u­men­tale Abhand­lung, die sich in mancher­lei Hin­sicht Spen­gler zum Vor­bild nimmt, über den form­rev­o­lu­tionären Prozess der früh­neuzeitlichen Wel­ter­oberung („Globen“) einen Bogen bis zu den vielfälti­gen hor­i­zon­tal-polyzen­trischen Ver­net­zun­gen („Schäume“) der Gegen­wart. Im Rah­men sein­er Unter­suchung zeigt der Ver­fass­er auch, wie sich kon­ser­v­a­tive Alteu­ropäer, etwa Hans Sedl­mayr, gegen eine „Welt ohne Zen­trum“ (Richard Rorty) zur Wehr set­zten. Unter­be­w­ertet in der Sekundär­lit­er­atur wird zumeist der Bezug Slo­ter­dijks zu Carl Schmitt. Bei­den kommt das Ver­di­enst zu, den „Raum als neuen Fun­da­men­tal­be­griff des Seins­denkens“ (Nor­bert Bolz) exponiert zu haben. Wie Hei­deg­ger Sein im Hor­i­zont der Zeit denkt, so Slo­ter­dijk Sein in dem des Raumes.

1999 wurde Slo­ter­dijk bezichtigt (neben anderen von dem Jour­nal­is­ten Thomas Assheuer und seinem Spir­i­tus Rec­tor im Hin­ter­grund, Haber­mas), in sein­er Elmauer Rede über den Men­schen­park eugenis­che Züch­tungsphan­tasien ent­wor­fen zu haben. Im Anschluss an einige kri­tis­che Gedanken der philosophis­chen Tra­di­tion (Pla­ton, Niet­zsche, Hei­deg­ger) zu den domes­tizieren­den Wirkun­gen des Human­is­mus bew­ertet Slo­ter­dijk (in ein­er sehr sug­ges­tiv­en Sprache) den Wun­sch des Men­schen nach Verbesserung sein­er Natur pos­i­tiv. Die auf der Hand liegen­den Verbindun­gen zur Gen­tech­nik wer­den jedoch nicht expliz­it aus­ge­führt. Nach eigen­em Bekun­den geht es dem Gelehrten um eine „Ethik des anthro­potech­nis­chen Macht­ge­brauchs“, die eine „spez­i­fis­che Dif­ferenz“ zwis­chen „Zooleit­ern und Zoobe­wohn­ern“ nicht zu leug­nen brauche. Im Rah­men sein­er Antwort auf die Polemik der Geg­n­er erk­lärte er die Kri­tis­che The­o­rie endgültig für tot.

Eine in kon­ser­v­a­tiv­en Diskursen üblicher­weise geschätzte Kar­dinal­tugend, die Tapfer­keit, gilt in den heute schein­bar paz­i­fizierten west­lichen Zivilge­sellschaften gemein­hin als obso­let. In den Grund­tex­ten der abendländis­chen Kul­tur ist die Bedeu­tung des Zorns jedoch gewichtig. Man verge­gen­wär­tige sich nur den Inhalt der Illias oder der hebräis­chen Bibel. Slo­ter­dijk blät­tert in Zorn und Zeit (2006) unter­schiedliche Kapi­tel der Geschichte der thy­mo­tis­chen Kräfte auf, deren locus clas­si­cus bei Pla­ton zu find­en ist. Das Chris­ten­tum ver­sucht eine Umfor­mung der antiken Grund­tu­gen­den in Rich­tung Näch­sten- und Fein­desliebe, was die Aus­rich­tung der römis­chen Poli­tik maßge­blich bee­in­flusst. Den­noch wer­den die aggres­siv­en Seit­en des Men­schen auch von dieser Glauben­srich­tung nicht voll­ständig unter Kon­trolle gebracht, wie die apoka­lyp­tis­chen Tra­di­tio­nen lehren. Slo­ter­dijks stellt sich in die chris­ten­tum­skri­tis­che Tra­di­tion Niet­zsches und macht keinen Hehl aus sein­er Abnei­gung gegen den in west­lichen Gesellschaften omnipräsen­ten „Human­i­taris­mus“ (Arnold Gehlen). Im 20. Jahrhun­dert sieht er für das Wüten des Furors viele Gele­gen­heit­en. Sie reichen von der kom­mu­nis­tis­che „Welt­bank des Zorns“ (Slo­ter­dijk) bis zum weltweit forcierten Feldzug der Rache Allahs gegen west­liche Säku­lar­isierung und Dekadenz nach 1989.

Die Ablehnung eines weit­eren Ressen­ti­ments, dies­mal des mon­etären, bewegt Slo­ter­dijk zu dem Artikel Die Rev­o­lu­tion der geben­den Hand (2009). Der Text, der Affinitäten zu wirtschaft­slib­eralem Gedankengut nicht ver­ber­gen kann, prangert den mod­er­nen Steuer­staat an, er sei ein „geld­saugen­des und geld­speien­des Unge­heuer von beispiel­losen Dimen­sio­nen“ und die „größte Nehmer­ma­cht der mod­er­nen Welt“. Jährlich werde den pro­duk­tiv­en Schicht­en etwa die Hälfte ihrer Erträge abgenom­men. Slo­ter­dijk emp­fiehlt einen Ausweg aus dem für ihn untrag­baren Zus­tand der „Staats-Klep­tokratie“: die „Rev­o­lu­tion der geben­den Hand“. Statt der Zwangsab­gaben bevorzugt er eine frei­willige Spende der Leis­tungsträger, die so als Geber auftreten kön­nten – eine Geste, die die Spender mit Stolz erfülle.

Slo­ter­dijk, dessen Weg von „anar­cholib­ertären zu recht­slib­eralen Posi­tio­nen“ (Hen­rique Ricar­do Otten) geführt hat, wird in der anschließen­den Debat­te als „neuer Hayek“ beschuldigt, die Demokratie ent­macht­en zu wollen und einem elitären Denken zu huldigen. Während ein Kri­tik­er von der Flucht in die „Mäzenaten­sou­veränität“ (David Salomon) spricht, beklagt der Haber­mas-Schüler Axel Hon­neth die Argu­mente des Attack­ierten als ein „Amal­gam aus Gehlen, Orte­ga y Gas­set und Ernst Nolte…, nur daß die Gle­ich­set­zung von Faschis­mus und Sozial­is­mus und deren gemein­same Rück­führung auf die Motive der Gier… hier hemd­särmeliger, ja protziger daherkommt“. So sehr Slo­ter­dijk auch die Gefahren der fiskalis­chen Umverteilung hell­sichtig aufzeigt, darf bezweifelt wer­den, daß die angedeuteten Auswege plau­si­bel sind: die Umstel­lung der Steuerpflicht auf eine bloß frei­willige Gabe, die es dem Staat in let­zter Kon­se­quenz unmöglich machte, seine für alle unab­d­ing­baren Auf­gaben der mod­er­nen „Daseinsvor­sorge“ adäquat zu erfüllen.

Die antiu­topis­chen und sys­temkri­tis­chen Ein­sicht­en des Karl­sruher The­o­retik­ers machen ihn für kon­ser­v­a­tives Denken anschlußfähig.

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Zitat:

Platos gefährlich­er Sinn für gefährliche The­men trifft den blind­en Fleck aller hochkul­turellen Päd­a­gogiken und Poli­tiken – die aktuelle Ungle­ich­heit der Men­schen vor dem Wis­sen, das Macht gibt.

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Schriften:

  • Kri­tik der zynis­chen Ver­nun­ft, 2 Bde, Frank­furt a.M. 1983
  • Im sel­ben Boot. Ver­such über die Hyper­poli­tik, Frank­furt a.M. 1993
  • Der starke Grund, zusam­men zu sein. Erin­nerun­gen an die Erfind­ung des Volkes, Frank­furt a.M. 1998
  • Sphären, 3 Bde, Frank­furt a.M. 1998–2004
  • Regeln für den Men­schen­park. Ein Antwortschreiben zu Hei­deg­gers Brief über den Human­is­mus, Frank­furt a.M. 1999
  • Die Ver­ach­tung der Massen. Ver­such über Kul­turkämpfe in der mod­er­nen Gesellschaft, Frank­furt a.M. 2000
  • Nicht gerettet. Ver­suche nach Hei­deg­ger, Frank­furt a. M. 2001
  • Zorn und Zeit. Poli­tisch-psy­chol­o­gis­ch­er Ver­such, Frank­furt a.M. 2006
  • Du musst dein Leben ändern. Über Anthro­potech­nik, Frank­furt a.M. 2009
  • Die nehmende Hand und die gebende Seite: Beiträge zu ein­er Debat­te über die demokratis­che Neube­grün­dung von Steuern, Berlin 2010

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Lit­er­atur:

  • Hol­ger von Dobe­neck: Das Slo­ter­dijk-Alpha­bet. Kri­tisch-lexikalis­che Ein­führung in seinen Ideenkos­mos, Würzburg ²2006
  • Hans-Jür­gen Hein­richs: Peter Slo­ter­dijk. Die Kun­st des Philoso­phierens, München 2011
  • Sjo­erd van Tuinen: Peter Slo­ter­dijk. Ein Pro­fil, Stuttgart 2006