Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt — Ernst Jünger, 1932

Als Oswald Spen­gler kurz nach Erscheinen Jüngers Arbeit­er mit ein­er aus­ge­sprochen respek­tvollen Wid­mung erhielt, antwortete er dem Autor, dank­te, ließ aber einen gewis­sen Unmut erken­nen, da Jünger sein­er Mei­n­ung nach dem »marx­is­tis­chen« Irrtum ver­fall­en war und annahm, daß dem Pro­le­tari­at die Zukun­ft gehöre. Man kann diese Fehlin­ter­pre­ta­tion sich­er auf ver­säumte Lek­türe zurück­führen, ohne zu bestre­it­en, daß auch viele Anhänger und Verehrer Jüngers in bezug auf den Arbeit­er irri­tiert waren, zum einen, weil dessen »Gestalt« für sie keine deut­liche Kon­tur gewann, zum anderen, weil dessen »Herrschaft« wenig gemein hat­te mit dem, was »kon­ser­v­a­tive Rev­o­lu­tionäre« der Zwis­chenkriegszeit erhofften oder erwarteten.

Tat­säch­lich ging es Jünger mit seinem Buch um die Analyse eines Prozess­es, von dem er glaubte, daß er sich wed­er mit den üblichen linken (Fortschritt, Klassenkampf, Kap­i­tal ver­sus Arbeit) oder recht­en (Ver­fall, Rassenkampf, Elite ver­sus Masse) Inter­pre­ta­menten erfassen ließ. Der »Arbeit­er« stand vielmehr als Syn­onym für eine Umgestal­tung der Welt durch die Tech­nisierung, die längst nichts Äußeres mehr war, son­dern eine die Men­schen in ihrem Inner­sten erfassende und verän­dernde Wirk­lichkeit. Die Indus­trielle Rev­o­lu­tion des 19. Jahrhun­derts hat­te diesen Prozeß vor­bere­it­et, in Europa begin­nend und mit der Kolo­nial­isierung den ganzen Globus erfassend. Auf den ersten Blick war die Wirkung vor allem eineb­nend, egal­isierend, zer­störte die alten Lebenswel­ten und Tra­di­tio­nen, die Aris­tokra­tien und die Unter­schiede der Völk­er durch den Zwang des »Arbeitscharak­ters«, den alle Leben­säußerun­gen — von der Erwerb­stätigkeit bis zur »Freizeit­gestal­tung« — annah­men. Auf den zweit­en Blick wurde allerd­ings deut­lich, daß sich neue Hier­ar­chien bilde­ten, neue impe­ri­ale Struk­turen, die nur eben nicht mehr auf Nation­al­staat­en grün­de­ten, son­dern auf Großräu­men, die mit den Mit­teln der Tech­nik kon­trol­liert wur­den. Der Erste Weltkrieg hat­te dieser Ten­denz durch seinen Charak­ter als Maschi­nenkrieg und das Aus­greifen der Vere­inigten Staat­en sowie die Entste­hung der Sow­je­tu­nion zum Durch­bruch ver­holfen. Im weit­eren Ver­lauf des 20. Jahrhun­derts, so Jünger, wer­den alle Winkel der Erde der »Arbeit­sor­d­nung« unter­wor­fen.

Der Arbeit­er stand in der Kon­se­quenz jen­er geisti­gen Entwick­lung Jüngers, die ihn schon in der zweit­en Hälfte der zwanziger Jahre dazu gebracht hat­te, ältere, aus dem Fun­dus der klas­sis­chen Kul­turkri­tik stam­mende Vor­be­halte gegenüber der Mod­erne aufzugeben. Diese Abkehr war auch unter dem Ein­druck von Spen­glers Kri­tik der Kul­turkri­tik ent­standen, die die Zurück­weisung von Natur­wis­senschaft und Tech­nik als Schwäch­esymp­tom deutete, hat­te aber außer­dem einen Bezugspunkt in der Ein­sicht, daß die Poli­tik nicht mehr durch rev­o­lu­tionäre Wil­len­sak­te zu bee­in­flussen war und man, wenn über­haupt, dann die objek­tiv­en Ten­den­zen der his­torischen Entwick­lung nutzen mußte, um eine andere als die bürg­er­lich-lib­erale Ord­nung zu schaf­fen.

Wie diese alter­na­tive »organ­is­che Kon­struk­tion« konkret ausse­hen kön­nte, bleibt im Arbeit­er undeut­lich. Auch das erk­lärt die ver­hal­te­nen oder neg­a­tiv­en Reak­tio­nen auf das Buch bei Erscheinen 1932. Vielfach wurde Jünger eine nihilis­tis­che Gen­er­al­tendenz unter­stellt oder die Absicht, eine Art »nation­al­bolschewis­tis­ches« Man­i­fest zu ver­fassen. Für diese Inter­pre­ta­tion kon­nte man nicht nur die demon­stra­tive Sym­pa­thie Jüngers für »Osto­ri­en­tierung« und die Sow­je­tu­nion gel­tend machen, son­dern auch den Ver­such Ernst Niekischs, den Arbeit­er in seinem Buch Die dritte impe­ri­ale Fig­ur (1935) fort- und umzuschreiben, zulet­zt noch die Ver­suche einiger junger Nation­al­sozial­is­ten, sich hier die Basis für eine intellek­tuelle Aufrüs­tung des NS-Regimes zu ver­schaf­fen. In diesen Zusam­men­hang gehört auch Armin Mohlers Hin­weis, daß die Lek­türe des Arbeit­ers für ihn auss­chlaggebend gewe­sen sei, im Feb­ru­ar 1942 ille­gal aus der Schweiz nach Deutsch­land zu gehen und sich zum Kampf an der Ost­front zu melden.

Jünger waren solche Rezep­tionsver­suche eher unan­genehm, was mit seinem voll­ständi­gen Rück­zug aus dem ide­ol­o­gis­chen Feld nach 1933 zu tun hat­te. Die Bedeu­tung des Arbeit­ers als poli­tis­che Pro­gramm­schrift ver­suchte er von da an, und erst recht nach dem Ende des Zweit­en Weltkriegs, herun­terzus­pie­len. Er wollte ihn nur noch als Zeit­di­ag­nose ver­standen wis­sen. Dabei kam ihm zupaß, daß es eine inten­sive Diskus­sion tech­nokratis­ch­er Konzepte gab, die in manchem Par­al­le­len zu seinen Aus­führun­gen aufwiesen. Voll­ständig überzeu­gend war diese Art der nach­holen­den Inter­pre­ta­tion allerd­ings nicht. Es ist beze­ich­nend, daß Jünger für die Werkaus­gaben aus dem Essay Die totale Mobil­machung (1931, der eine Art Voren­twurf des Arbeit­ers enthielt) und dem Arbeit­er jene Pas­sagen tilgte oder umschrieb, die pro­gram­ma­tisch ver­standen wer­den kon­nten.

Zitat:

Nicht anders als mit Ergrif­f­en­heit kann man den Men­schen betra­cht­en, wie er inmit­ten chao­tis­ch­er Zonen an der Stäh­lung der Waf­fen und Herzen beschäftigt ist, und wie er auf den Ausweg des Glück­es zu verzicht­en weiß. Hier Anteil und Dienst zu nehmen: das ist die Auf­gabe, die von uns erwartet wird.

Aus­gabe:

  • Let­zte Aus­gabe des Urtextes, Stuttgart: Klett-Cot­ta 2007

Lit­er­atur: