Anarchie

Anar­chie ist abzuleit­en vom alt­griechis­chen anar­chia, was soviel wie »Herrschaft­slosigkeit« bedeutet, für die Antike ein Zus­tand gle­ichbe­deu­tend mit »Anomie« und Bar­barei. Entsprechende Vorstel­lun­gen haben sich bis heute erhal­ten und führen regelmäßig zur Iden­ti­fika­tion von Anar­chie und Chaos, Gesetz- und Kul­tur­losigkeit.

In bewußter Ent­ge­genset­zung kam die pos­i­tive Umw­er­tung des Begriffs seit dem Ende des 18. Jahrhun­derts auf; Kant definierte Anar­chie entsprechend als »Gesetz und Frei­heit ohne Gewalt«. Mit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion wurde »Anar­chist« zur Beze­ich­nung der­jeni­gen, die unter Frei­heit ein umfassendes Recht auf Selb­st­bes­tim­mung ver­standen und die Erwartung hegten, daß sich absolute Frei­heit entwed­er in einem gesellschaftlichen Endzu­s­tand oder durch prak­tis­che Maß­nah­men (Bil­dung von Kom­munen und Föder­a­tio­nen) schon hier und jet­zt ver­wirk­lichen lasse.

Ursprünglich bildete der Anar­chis­mus einen inte­gralen Bestandteil der linken Gesamt­be­we­gung; aber nach dem Scheit­ern der Paris­er Kom­mune (1871) spal­teten sich die anar­chis­tis­chen von den sozial­is­tis­chen und kom­mu­nis­tis­chen Grup­pen ab. Ver­suche eine stärkere anar­chis­tis­che Inter­na­tionale zu organ­isieren blieben aus nahe­liegen­den Grün­den erfol­g­los; anar­chis­tis­che Grup­pen waren immer nur vorüberge­hend (etwa in den USA) und nur in weni­gen Län­dern (Schweiz, Spanien, Ukraine, einige Staat­en Lateinamerikas) ein­flußre­ich.

Da die Anar­chie den äußer­sten linken Flügel bildete, war ihr die Geg­n­er­schaft der poli­tis­chen Recht­en sich­er. Die prinzip­ielle Infragestel­lung jed­er Autorität machte sie zum Feind all dessen, wofür der klas­sis­che Kon­ser­vatismus stand. Die ter­ror­is­tis­che Prax­is der Anar­chis­ten im let­zten Vier­tel des 19. Jahrhun­derts (»Pro­pa­gan­da der Tat«) und deren Zusam­me­nar­beit mit Krim­inellen tat­en ein übriges und förderten außer­dem den Ver­dacht gegen Lib­erale, Sozial­is­ten oder Sozialdemokrat­en, daß sie fak­tisch dem Anar­chis­mus vorar­beit­eten. Dieselbe Frontstel­lung wieder­holte sich beim Auftreten des Neo-Anar­chis­mus im Zusam­men­hang mit der Stu­den­ten­be­we­gung und dem Aufkom­men ter­ror­is­tis­ch­er Ban­den am Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhun­derts.

Die neg­a­tive Beurteilung erk­lärt hin­re­ichend, warum erst rel­a­tiv spät die Idee eines »kon­ser­v­a­tiv­en« oder eines »Anar­chis­mus von rechts« entste­hen kon­nte. Vor­läufer dieser Ten­denz darf man aber schon im aris­tokratis­chen Wider­stand gegen das absolute König­tum sehen, im Auftreten der lib­ertins, die »wie die Göt­ter« leben woll­ten, oder in der Hal­tung der Dandys, soweit sie aus­drück­lich einen elitären Stil kul­tivierten. Selb­stver­ständlich spiel­ten zulet­zt noch Niet­zsches Kri­tik des Staates und seine Lehre vom Über­men­schen eine Rolle.

Eine konkretere Aus­for­mung erlebte der »Anar­chis­mus von rechts« aber erst im 20. Jahrhun­dert. Angesichts des Zer­falls der alteu­ropäis­chen Ord­nung mit dem Ersten Weltkrieg wurde die Sit­u­a­tion von eini­gen Pro­tag­o­nis­ten der Recht­en als so verzweifelt wahrgenom­men, daß jedes Wieder­anknüpfen an die Tra­di­tion aus­sicht­s­los erschien. Das erk­lärt die Ver­suche manch­er, eine neue Welt ohne Rück­sicht auf Bedin­gun­gen zu schaf­fen (Gabriele D’Annunzio, T. E. Lawrence, Baron Ungern-Stern­berg) oder den Rück­zug aus ein­er zer­fal­l­en­den Welt auf die Posi­tion des Solitärs zu ver­lan­gen (Julius Evola, Georges Bernanos). Daneben gab es eine Lit­er­atur, die Pes­simis­mus und Exis­ten­tial­is­mus zu ein­er Grund­hal­tung verknüpfte, die vor allem durch Ver­ach­tung der Kon­ven­tion und der Massen auffiel und ein Recht auf poli­tis­che Durch­set­zung für die berufe­nen Einzel­nen forderte (Hen­ry de Mon­ther­lant, Louis-Fer­di­nand Céline).

Ernst Jüngers Rede vom »preußis­chen Anar­chis­ten«, der, »nur bewaffnet mit dem Imper­a­tiv des Herzens, die Welt nach neuen Ord­nun­gen durch­streift« war dage­gen schon ein Ver­such, nicht nur die tat­säch­lichen Gemein­samkeit­en zwis­chen dem Anar­chis­ten und dem Kon­ser­v­a­tiv­en her­auszustellen – in dem Bemühen, auf den Ursprung der Dinge zurück­zuge­hen –, son­dern auch ein Konzept zu entwick­eln, das bei­de Möglichkeit­en offen­hält: die Exis­tenz als einzel­ner in unauswe­ich­lichem Zer­fall oder den Ver­such, nach dem Gang durch die Katas­tro­phe Mit­tel für den Wieder­be­ginn zur Ver­fü­gung zu hal­ten. Jünger hat die Über­legun­gen zu einem preußis­chen Anar­chis­mus später mit den Gestal­ten des »Waldgängers«, dann des »Anar­chen« weit­erge­bildet.

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Zitate:

Man kann das Denken aller anar­chis­tis­chen Autoren prüfen und wird immer densel­ben Haß auf die Zivil­i­sa­tion wiederfind­en, soweit es die Herrschaft des Zwangs wie die Diszi­plin bet­rifft, geeignet den Men­schen zur Arbeit anzuhal­ten, auf daß er einem anderen Hang fol­gt als dem der Natur.
Edouard Berth

Uns bleibt nur die Wahl zwis­chen zwei Hal­tun­gen: wir kön­nen uns entwed­er für die Aris­tokratie oder die Anar­chie entschei­den. Bei­de näm­lich ver­ab­scheuen die gle­ich­macherische Kacke.
Lucien Rebatet

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Lit­er­atur:

  • Gün­ter Bartsch: Der inter­na­tionale Anar­chis­mus, Han­nover 1972.
  • Ernst Jünger: Das aben­teuer­liche Herz. Erste Fas­sung, Berlin 1929, zulet­zt Stuttgart 2000;
  • Otto Mann: Dandy­is­mus als kon­ser­v­a­tive Lebens­form, in Gerd-Klaus Kaltenbrun­ner (Hrsg.): Kon­ser­vatismus inter­na­tion­al, Stuttgart-Degerloch 1973, S. 156–171.
  • Fran­cois Richard: Les anar­chistes de droite, Paris 1991.
  • Hans-Peter Schwarz: Der kon­ser­v­a­tive Anar­chist. Poli­tik und Zeitkri­tik Ernst Jüngers, Freiburg i. Br. 1962.
  • Karl­heinz Weiß­mann: Anar­chis­mus von rechts, in ders.: Alles, was recht(s) ist, Graz und Stuttgart 2000, S. 125–134.